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Die Gaste, Ausgabe 18 / August-Oktober 2011
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Anerkennung statt Integration. Für einen Wechsel der regulativen Bezugsgröße*
[Entegrasyon Yerine Tanýmak Düzenleyici Esasýn Deðiþimi Üzerine]
[* Dieser Text ist erstmalig 2007 erschienen in: Impulse, Zeitschrift der Landesvereinigung für Gesundheit, Niedersachsen, 55, 2, 3-4.]
Prof. Dr. Paul MECHERIL [Innsbruck Üniversitesi/Avusturya]
Nach einer langen Zeit, in der das Thema „Einwanderung“ - aufgrund einer gewissermaßen offiziellen Wahrnehmungsweigerung, eines Sprechverdikts und -verbots: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ - nur ein marginales Thema und das Thema eines politischen und intellektuellen Randes war, wird seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum intensiv über „Migration“, „Zuwanderung“, „Ausländer“, „Multikulturalität“ usw. debattiert. Diese Debatten formieren einen intensiv geführten, zuweilen ideologisierten und von Affekten begleiteten Diskurs. „Migration“ ist nicht allein ein Prozess des Überschreitens von (z.B. nationalen) Grenzen, sondern ein Phänomen, das die Thematisierung und Problematisierung von symbolischen Grenzen der Zugehörigkeit nach sich zieht und damit ihre Infragestellung betreibt, ebenso wie ihre Stärkung. Anders formuliert: Der Diskurs über „Migration“ ist ein heftig geführter Diskurs, weil es um etwas geht und weil die Akteure des Diskurses etwas zu gewinnen und etwas zu verlieren haben. Das, was hierbei zur Disposition steht, das, was verloren und vielleicht auch gewonnen werden kann, bezeichnet hierbei ein zentrales imaginäres (das heißt: ein institutionalisiertes Vorstellungsbild, das Wirklichkeit schafft) gesellschaftliches Moment, nämlich die Frage, wer „wir“ sind bzw. wer „wir“ sein wollen. Durch das und in dem Thema „Migration“ wird also die Frage problematisiert, wer und was (z.B. welche lingualen und kulturellen Praxen) zu der vorgestellten nationalstaatlichen Zusammenhang legitimer Weise dazu gehören und wer und was legitimer Weise nicht. Diese Beunruhigung ist hierbei nicht alleine eine abstrakte und bloß im Raum der medialen und politischen Öffentlichkeit ausgetragene Auseinadersetzung, sie betrifft vielmehr grundlegende Praxen und Selbstverständnisformen wie die Frage, wer in Deutschland juristisch legal und kulturell legitim von sich behaupten darf, Bürgerin dieses Landes zu sein und als Bürger zu handeln. Sie betrifft aber auch die weitestgehend von monokulturellen und monolingualen Routinen geprägte Institutionen und Organisationen der sozialen und gesundheitlichen Subsysteme, die durch Migrationsphänomene in ihren Selbstverständnissen, Strukturen und Mustern grundlegend irritiert werden. Schließlich zeigt sich die Beunruhigung aber auch auf einer individuellen und persönlich-biographischen Ebene, da durch Migration als selbstverständlich geltende Ressourcenverteilungen auf der Ebene von „wer bin ich und was steht mir aufgrund dieser Identitätsposition legitimer Weise zu“, von denen einige profitieren und andere nicht, problematisiert werden.
Nun hat sich in der deutschsprachigen Öffentlichkeit eingebürgert, das Thema Migration nahezu ausnahmslos in einem Atemzug mit der Vokabel „Integration“ zu behandeln. Da es bei der Thematisierung von „Migration“ zumeist nicht ausschließlich um eine Analyse, sondern immer auch um normative und regulative Fragen geht, wird die Integrationsvokabel auch im Kontext der erwünschten Regulation gesellschaftlicher Verhältnisse benutzt (wie gesagt geht es hier letztlich um die faktische und symbolische Regulation des imaginären „Wir“). Mein erstes Argument hier ist nun, dass die Integrationsvokabel als regulative Idee für die Gestaltung migrationsgesellschatlicher Wirklichkeit (etwa auf der Ebene der gesundheitlichen Versorgung, der psychosozialen Arbeit) unangemessen ist (selbst ob „Integration“ als Analysebegriff geeignet ist, würde ich nicht mit Gewissheit sagen wollen; aber darum geht es hier nicht). . Die normative Verwendung des Integrationsbegriffs ist aus einer Reihe von Gründen problematisch; ich markiere nur einige:
– • es ist ganz unklar, was „Integration“ eigentlich heißt bzw. es sind ganz unterschiedliche Integrationsbegriffe (z. B. Integration = Anpassung der Immigantinnen um soziale und ökonomische Kosten zu mindern vs. Integration = Modifikation der gesellschaftlichen Subsysteme um Partizipation der Immiganten zu ermöglichen) in Umlauf und damit ebenso viele Regulationsideen
– • vor diesem Hintergrund kann „Integration“ zur Durchsetzung disziplinarischer Maßnahem jederzeit instrumentalisiert werden, was im Zuge der gegenwärtig dominanten Verwendungsweise von „Integration“ auch geschieht
– • „Integration“ ist hier eine mehr oder weniger einseitige Anpassungsleistung, die als „Migranten“ geltende Personen zu erbringen haben und zugleich ist „Integration“ ein Sanktionssystem, da bei nicht erbrachter Integration symbolische und ökonomische Strafen drohen (mittlerweile arbeiten Schulleitungen mit Ausländerbehörden zusammen, um die „Integrationsunwilligkeit“ von Migranteneltern zu melden)
– • „Integration“ bestätigt die Zuschreibung von Fremdheit, da die Vokabel nahezu ausschließlich benutzt wird, um über „Migrantinnen“ zu sprechen. Dadurch werden „Menschen mit Migrantionshintergrund“ – selbst wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und hier ihren Lebensmittelpunkt haben - beständig als „fremde“ Elemente, die zu integrieren seien, konstruiert und festgelegt (die Frage der „Integration“ wird aber nicht beispielsweise mit Bezug auf autochthone Hartz IV-Empfänger gestellt und auch nicht mit Bezug auf Peter Hartz selbst und seine deviante Biographie)
– • „Integration“ ist keine angemessene pädagogische und psychosoziale Referenz, da der Begriff Individuen nicht als widerständige und eine eigensinnige Geschichte, die in pädagogischen und psychosozialen Zusammenhängen zunächst einmal zur Kenntnis genommen werden muss, aufweisende Subjekte versteht, sondern als „Elemente“, die einem größeren Ganzen einzuordnen, eben zu integrieren seien.
Diese Einwände gegen das regulative Prinzip der Integration verweisen letztlich kritisch auf eine Paradoxie, die den dominanten Diskurs und die vorherrschende Politik mit Bezug auf „Migration“ in Deutschland grundsätzlich kennzeichnet. Von den als Andere und Fremde geltenden Personen (von den „Ausländerinnen“ oder wie es heute politically correct heißen müsse „Menschen mit Migrationshintegrund“) wird in der deutschen Öffentlichkeit Eingliederung und Angleichung gefordert, wobei gleichzeitig - auch durch die Forderung – die vermeintliche und vermeintlich nicht bewahrenswerte Differenz beständig betont, eingebracht und bestätigt wird.
Vor diesem Hintergrund macht es mithin Sinn, über einen alternative Bezugspunkt einer regulativen Perspektive auf migrationsgesellschaftliche Realität nachzudenken.
Anstelle von „Integration“ stellt meines Erachtens der Topos der Anerkennung – gerade für pädagogische und psychosoziale Arbeit – eine Referenz dar, die ertragreicher und angemessener sein könnte. „Anerkennung“ als Regulative Referenz heißt hierbei, dass die Gestaltung der migrationsgesellschaftlichen Wirklichkeit von der Idee getragen wird, Anerkennungserfahrungen zu maximieren und Missachtungserfahrungen zu minimieren.
Allgemein zielt Anerkennung unter Bedingungen von Differenz auf Verhältnisse, in denen einander Fremde für Bedingungen der Möglichkeit zur Selbstdarstellung der je anderen eintreten. Bei diesen Verhältnissen handelt es sich um solche, die den Status der je anderen als Subjekt ernst nehmen. Im hier bedeutsamen Subjektbegriff geht es nicht um das Herausstellen einer wesenhaften Eigenschaft von Individuen, sondern um die Frage, in welchen Weisen Individuen Möglichkeiten zukommen, ihr sozial vorstrukturiertes Vermögen wirksam werden zu lassen und sich in affirmative und transformative Welt- und Selbstverhältnisse zu begeben. Wo Individuen sich in solchen Bildungsräumen und Handlungskontexten wieder finden und aufhalten, entwickeln sie den Status als Subjekt. "Subjekt" ist ein Begriff, der ein spezifisches Verhältnis eines Individuums zu einem sozialen Zusammenhang benennt. Der relationale Ausdruck gibt Auskunft über die (wandelbare) Position, die ein Individuum in einem sozialen Kontext einnimmt und aufgrund derer ihm bestimmte Ansprüche erwachsen.
Anerkennungsansätze plädieren nun für eine Regelung pädagogischer Angelegenheiten, die die Handlungsfähigkeit Einzelner fördert und ermöglicht, indem Strukturen geschaffen und zugestanden werden, in denen Einzelne ihren basalen Handlungsdispositionen, aktuale oder qua kultureller Zugehörigkeit antizipierte Dispositionen, entsprechende Bedingungen der Möglichkeit zum Handeln vorfinden. Handlungsfähigkeit beschränkt sich im Rahmen eines Anerkennungsansatzes also nicht auf die schlichte Zubilligung, gleichberechtigt an öffentlichen Gütern partizipieren zu dürfen. Handlungsfähigkeit ist vielmehr an ein responsives Verhältnis zwischen Handlungssubjekt und Handlungsraum gebunden, in dem das Handlungssubjekt in seinen spezifischen, nur im Rahmen seiner besonderen Geschichte und Biographie verstehbaren Dispositionen und Vermögen angesprochen und zur Geltung gebracht wird. Anerkennungsansätze treten für die Vermehrung solcher Zusammenhänge ein und somit dafür das Scheitern Einzelner an den beispielsweise kulturellen Vorgaben etwa der Bildungsinstitutionen als Defizit dieser Institutionen zu verstehen.
Buchtipps zum Kurztext: Mecheril, P. u.a.: Migrationspädagogik (2010; Beltz-Verlag)/ Mecheril, P. & Quehl, Th. (Hg.): Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule (2006; Waxmann-Verlag)/ Melter, C & Mecheril, P. (Hrsg.) Rassismuskritik. (2010: Wochenschau-Verlag)
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