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Die Gaste, Ausgabe 20 / Januar-Februar 2012
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Für ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die NPD, aber unter anderen Voraussetzungen!
[NPD’nin Kapatýlmasý Ýçin Önkoþullarý Farklý Yeni Bir Dava!]
Prof. Dr. Christoph BUTTERWEGGE
(Universität zu Köln)
Nach der offenbar von einer Gruppe Thüringer Neonazis verübten Attentats- und Mordserie gegenüber Migranten türkischer bzw. griechischer Herkunft konzentrierte sich die Diskussion über den Rechtsextremismus sofort auf die Streitfrage, ob man ein NPD-Verbot beim Bundesverfassungsgericht beantragen solle oder nicht. Wer nicht darüber sprechen will, warum Rechtsextremismus entsteht, kann zu dessen Eindämmung allerdings wenig beitragen, erweckt vielmehr den Eindruck, durch die Forderung nach einem zweiten „Gang nach Karlsruhe“ von dem eigentlichen Problem ablenken zu wollen, dass Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus – die Kernideologien des Rechtsextremismus – mitten in unserer Gesellschaft wurzeln. Gegenmaßnahmen greifen aber nur, wenn sie an den eigentlichen Ursachen, nicht bloß an den Symptomen bzw. parteipolitischen Erscheinungsformen wie der NPD als nach wie vor stärkster Kraft des Rechtsextremismus hierzulande ansetzen.
Die organisatorische Schlüsselbedeutung der NPD liegt in ihrer Scharnier- bzw. Brückenfunktion, d.h. der Vermittlung zwischen Nationalkonservatismus, Deutschnationalismus und militantem Neofaschismus, der offenbar fließende Übergänge zum Rechtsterrorismus aufweist. Insofern würde ein Verbot zweifellos die „richtige“ Partei treffen, deren Kader besonders in Ostdeutschland nicht zu unterschätzende Rekrutierungserfolge unter – meist männlichen – Jugendlichen verzeichnen. Der am 13. November 2011 auf dem Neuruppiner NPD-Parteitag in einer Kampfabstimmung gegen Udo Voigt zum Vorsitzenden gewählte sächsische Landtagsabgeordnete Holger Apfel spricht von „seriöser Radikalität“, was nur ein Kosename für besser getarnte Brutalität ist. Da sind Neonazis in Nadelstreifen am Werk, die ihr Gedankengut erfolgreicher unter das Volk zu bringen hoffen, indem sie gemäßigter auftreten, ohne ihre Kontakte zu den militanten Neonazi-Gruppierungen, den „Freien Kameradschaften“ und den „Autonomen Nationalisten“ zu kappen. Apfel wirkt janusköpfig und dürfte weiterhin den Spagat versuchen: einerseits rechtspopulistisch zu argumentieren, sich als „Kümmerer“ der sozial Benachteiligten zu profilieren, und andererseits die militanten Neonazis bündnispolitisch zu integrieren.
Kontraproduktiv wäre ein Parteiverbot als schärfste Sanktion gegen eine solche politische Strömung, wenn sie nicht von anderen, die rechtsextreme Politik und Propaganda schwächenden Maßnahmen (der Sozialpolitik, der generellen Diskriminierungsverbote in Bezug auf Minderheiten, der Jugendarbeit und der kritischen politischen Bildung) flankiert würde. Eine rechtsextreme Partei wie die NPD zu verbieten bedeutet schließlich nicht, ihre politisch-ideologische Basis zu zerstören. Die organisatorische Schwächung bzw. Verunsicherung von Mitgliedern und Sympathisanten kann sogar ein Pyrrhussieg für die Demokratie sein, wenn sich die Betroffenen als Märtyrer gerieren und auf Gruppierungen mit ähnlicher Schlagkraft auszuweichen vermögen. So symbolträchtig ein NPD-Verbot wäre, so wenig würde damit erreicht, bliebe die Offensive gegen den Rechtsextremismus darauf beschränkt. Parteien und Organisationen sind „leere Hüllen“, viel gefährlicher und entscheidend hingegen die politischen Inhalte bzw. Ideologien, die sie repräsentieren und die es mit gleicher Härte und Nachhaltigkeit zu treffen gilt, weit über die zahlenmäßig unbedeutende NPD hinaus.
Nichts hat der NPD mehr genützt als das im März 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht aufgrund der V-Mann-Problematik gescheiterte Verbotsverfahren, das sie als ideologischen „Persilschein“ betrachtete. Ein neuerlicher Verbotsantrag macht nur Sinn, wenn erstens ausgeschlossen ist, dass V-Männer die NPD-Politik beeinflussen, was sein wohl endgültiges Scheitern nach sich ziehen würde, und zweitens die ihr zugrunde liegenden Ideologien (Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus) mit derselben Härte bekämpft werden wie die Parteiorganisation. Entweder wirkt der Verbotsantrag als hilflose Drohgebärde bzw. gar bloßes Alibi, oder er fungiert als Signal, dass Rechtsextremismus in unserem Land nicht mehr geduldet wird. Die prominenten Befürworter eines Verbotsantrages wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) haben bisher aber mitnichten erkennen lassen, dass sie mit dieser Maßnahme eine Ächtung des Gedankengutes von Neonazis verbinden.
Wenn Merkel über die Untaten des „Thüringer Terror-Trios“ am 14. November 2011 auf dem Leipziger CDU-Parteitag „Das ist eine Schande, das ist beschämend für Deutschland“ sagte, klingt es nach wilder Entschlossenheit im Kampf gegen Rechtsextremisten, bestätigt aber ungewollt, was diese als überzeugte Nationalisten gleichfalls denken: Im Mittelpunkt unseres Handelns steht Deutschland, das ihrer Meinung nach eben „ausländerfrei“ geschossen oder gebombt werden muss, nicht der Mensch und erst recht keiner mit Migrationshintergrund. Dass viele Zeitungen weiter ohne Anführungszeichen bzw. kritischen Kommentar über die neun „Döner-Morde“ und die sich daran anschließenden Misserfolge der „SoKO Bosporus“ schreiben, zeigt nur zu deutlich, dass auch die Sensibilität für rassistische Konnotationen häufig immer noch fehlt.
Verfassungsrichter/innen bleiben vom politischen Klima eines Landes nicht unbeeinflusst: Wenn sich nunmehr ein gesellschaftlicher Grundkonsens herausbilden würde, dass Rechtsextremismus nach Art der NPD den demokratischen Verfassungsprinzipien widerspricht, hätte der Verbotsantrag gute Chancen, vom Bundesverfassungsgericht positiv beschieden zu werden. Entsteht hingegen der Eindruck, dass sich die staatliche Exekutive damit bloß ihrer Verantwortung entziehen will, dem Rechtsextremismus selbst energisch zu begegnen, könnten sich die Karlsruher Richter/innen noch einmal verweigern, was dann als politischer Freibrief für Neonazis und größtmöglicher Schaden für die Demokratie gelten müsste.
Nötig ist eine Doppelstrategie im Kampf gegen den Rechtsextremismus: Neben die Auflösung der NPD muss die Aufklärung über den demokratiefeindlichen, verfassungswidrigen und zutiefst inhumanen Charakter seiner Politik treten. Außer der Organisation muss das ihr zugrunde liegende Gedankengut geächtet werden. Mit unserer Verfassung, vor allem ihrer Fundamentalnorm „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ lässt es sich nämlich keineswegs vereinbaren. Die organisatorischen Bewegungsspielräume für Rechtsextremisten zu beschneiden schränkt daher die Demokratie so wenig ein, wie das Verbot des Rauschgifthandels der Gewerbefreiheit widerspricht. Ganz im Gegenteil: Demokratie erfordert, die politischen Wirkungsmöglichkeiten ihrer Todfeinde zu begrenzen.
Um den organisierten Rechtsextremismus zu schwächen, muss man die Demokratie stärken. Es kann also nicht etwa darum gehen, Grundrechte (z.B. die Meinungs- und Versammlungsfreiheit) einzuschränken, sondern darum, die bestehenden Gesetze und Strafbestimmungen konsequent gegen Rechtsextremisten bzw. deren Organisationen anzuwenden, was – keineswegs zufällig – jahrzehntelang versäumt wurde, als die rechten Brandschatzer von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen wie auch die Rechtsterroristen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) mitsamt ihren Hintermännern in dem Gefühl operierten, nur dem „Volkswillen“ Ausdruck zu verleihen und dem Gerede der Politiker über „Scheinasylanten“, „Asylantenfluten“ und „muslimischen Parallelgesellschaften in Deutschland“ die erlösende Tat folgen zu lassen.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft und ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Er gehört der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) seiner Hochschule an und hat mehrere Bücher über den Rechtsextremismus geschrieben.
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