ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
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(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)
ISSN 2194-2668


Die Gaste, Ausgabe 32 / Mai-Juli 2014

Institutionelle Diskriminierung
[Kurumsal Ayrýmcýlýk]


Dr. Erol KARAYAZ
(Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)





Wenn wir es mit gerechteren Bildungs- und Lebensperspektiven für junge Menschen mit Migrationshintergrund ernst meinen, müssen wir zuerst einmal anerkennen, dass für diese Gruppe in der Bundesrepublik Deutschland schlechtere Bildungschancen Realität sind.

Ob es sich hierbei um institutionelle Diskriminierung handelt oder einfach um ein fehlerhaftes Eingehen auf die individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten der Betroffenen, wird im Folgenden noch zu klären sein.

Eine der entscheidenden Fragen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen der Benachteiligung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist das Erstellen und die Interpretation aussagekräftigen Datenmaterials (vgl. Diefenbach 2004, S. 225/227). Dies wird häufig durch den Umstand erschwert, dass bei der Datenerhebung oft nicht beachtet worden ist, dass eine Vielzahl junger Menschen mit Deutschem Pass erst in erster, zweiter usw. Generation hier präsent ist und mit deutlichen Akklimatisierungsproblemen zu kämpfen hat.*

Über die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland lassen sich so keine Aussagen treffen.

In Folgenden wird ein Bezug zwischen Herkunftsland und optionalen Bildungserfolg hergestellt und die strukturellen Defizite des deutschen Bildungssystems aufgezeigt und analysiert (vgl. ebd., S. 230 f.). Deren Effekte sind u. a. ethnische Differenzierung auf Seiten der Migrantenkinder und zunehmende Homogenisierungstendenzen auf Seiten der Kinder der Aufnahmegesellschaft. Bildungserfolg hat in dieser Gesellschaft viel mit der Herkunft der Eltern zu tun.

Im Weiteren wird die Theorie des kulturell-defizitären Erklärungsansatzes zunächst beschrieben und dann kritisiert. Die Theorie der fehlenden „Normalausstattung“ aufgrund des jeweiligen „kulturellen Erbes“ wird die Kritik als Tendenz zur Kulturalisierung gegenübergestellt. Darüber hinaus wird die Frage behandelt, in wie weit hier das Schulsystem in Deutschland an seiner Erwartungshaltung bezüglich Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund krankt. Ebenso einbezogen wird ein zweiter humankapitaltheoretischer Ansatz

Als Humankapital wird im Bildungssystem jedwede Investition in die persönliche Entwicklung der Kinder durch das soziale Umfeld gewertet (vgl. ebd., 233f.). Hierbei wird angenommen, dass Kinder mit Migrationshintergrund hier bedingt durch die Lebensverhältnisse der Eltern Defizite entwickeln.

Da Eltern mit Migrationshintergrund häufig im deutschen Bildungssystem niedriger gewertete Bildungsabschlüsse haben und der Bildungsgrad der Eltern als einer der Hauptfaktoren für die Vermittlung von Humankapitel gilt, wird hier von einer tendenziell schlechteren Ausstattung ausgegangen (vgl. ebd., 234).

Als dritter Ansatz in der aktuellen Fachdiskussion wird der Ansatz der institutionellen Diskriminierung analysiert.

Hier wird der Ansatz vertreten, dass die Schule als solches, Teil des Probleme mangelnder Bildungserfolg bei Schülern mit Migrationshintergrund durch Praxen institutioneller Diskriminierung ist.

Die Schule hat Routinen und standardisierte Abläufe entwickelt, die den besonderen Bedürfnissen, aber auch Kompetenzen dieser Zielgruppe nicht gerecht werden (ebd., S. 241). Hier sind beispielhaft die Begriffe „monolinguale Schule“ (vgl. Gogolin 1994, S. 24), die Probleme der Diskriminierung von Migrantenkindern beim Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen und die mangelhaften interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen von Lehrkräften (im Sinne von Language Awareness) (vgl. Gomolla 2011, S. 41; Gomolla/Radtke 2002/2007) zu nennen.

Parallel zur Thematisierung institutioneller Diskriminierung entwickelt sich gegenwärtig auch in Deutschland ein Ansatz, der ebenfalls auf die Institution Schule, dort aber stärker auf situationale und kontextuelle Prozesse achtet. Gemeint sind die Forschungen zu Stereotype Threat. Leonie Herwartz-Emden, Verena Schurt und Wiebke Waburg weisen – sich beziehend auf Arbeiten aus dem angelsächsischen Sprachraum wie z.B. von Claude M. Steele (1997) – hier auf die folgende Annahme hin: „Befinden sich Personen in einer Situation, in der sie befürchten, auf Grundlage eines negativen Stereotyps bewertet zu werden und selbiges durch ihr Verhalten unbeabsichtigt zu bestätigen, erleben sie ein Gefühl der Bedrohung.“ (Emden/Schurt/Waburg 2010, S. 152) Naheliegender Weise kommen hier stereotype Diskursroutinen in den Blick, die sowohl Lehrkräfte als auch (Mit-) Schülerinnen und (Mit-) Schüler betreffen, und es wird davon ausgegangen, dass solche stereotypen Bedrohungseffekte sich nicht nur negativ auf gezeigte Leistungen auswirken, sondern auch auf die Motivation.

Mit Diefenbach stimme ich darin überein, dass in Hinblick auf den Beitrag von Schule zur Reproduktion von ungleichen Bildungschancen mehr getan werden muss. Die Bildungspolitik muss sich stärker mit den Folgen institutioneller Handlungslogiken beschäftigten. Zudem müssten Lehrkräfte im Bereich Umgang mit sozialer Heterogenität – dies bedeutet auch: in der Reflexion stereotyper Bilder und Vorstellungen und deren Wirkungen in der Interaktion mit und zwischen Schülerinnen und Schülern – besser ausgebildet und fortgebildet werden, und überhaupt wäre eine Interkulturelle Öffnung von Schule wünschenswert.

Für die Forschung formuliert Diefenbach die sinnvolle Idee, nicht nur die Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund zu vergleichen, sondern z.B. auch bildungserfolgreiche mit weniger erfolgreichen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund (vgl. ebd., S. 243f). Völlig vergisst sie jedoch, dass die Lage noch komplexer ist und auch Geschlechterverhältnisse und vor allem soziale Schichtungsverhältnisse zu berücksichtigen sind: „Wer nicht aus einer akademischen Familie kommt, wird schnell in die Hautschule sortiert.“ (Kreienbaum 2009, S. 29) Und gleichzeitig: „Fehlende interkulturelle Kompetenz und eine nicht mehr zeitgemäße Auffassung der Berufsrolle tragen mit dazu bei, dass (…) Schule Verlierer produzieren.“ (ebd., S. 32) Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund gehören – im Durchschnitt – zu diesen ‚Verlierern‘, wobei männliche Kinder und Jugendliche im Bildungssystem teilweise schlechter bewertet werden und mit anderen Zuschreibungen zu rechnen haben als weibliche; dieser Unterschied zeigt sich sowohl bei Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund (vgl. Karayaz 2013). Allerdings gilt auch, dass „nicht alle Jungen (…) Verlierer (sind), sie gehören immer auch zu den Besten“, und es sind beispielsweise in jedem Abiturjahrgang fast die Hälfte der erfolgreichen Absolventen männlich (ebd., S. 28).

In der Studie „Männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund: Ergebnisse eigener Untersuchungen und was diese für eine diversitätsbewusste Pädagogik bedeuten können“ (Karayaz 2013) wurden Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund gefragt, ob sie denn genug Förderung von den sie unterrichtenden Lehrkräften bekommen haben. (vgl. ebd., S. 112, Tab. 8).

Ich glaube nicht, dass ich zu Unrecht darauf spekuliere, dass ein emphatisches Verhalten und Unterstützungsaktivitäten in der Schule allgemein und durch Lehrpersonal im Besonderen, einen mittelbaren Einfluss auf Lernmotivation und Bildungserfolg haben.

Alleine das subjektiv empfundene Fehlen dieser Rahmenbedingungen wirkt sich negativ in diesem Kontext aus.

Tab.8: Unterstützungserfahrung durch Lehrkräfte (in Prozent)
Frage 4.15: Ich habe das Gefühl, nicht richtig von den Lehrkräften, die mich unterrichtet haben, gefördert worden zu sein.
Migrations-
hintergrund
Unterstützung
- Erfahrung
mit
russischem/polnischem
Migrationshintergrund
(n=219)
mit
türkischem
Migrationshintergrund
(n=219)
ohne
Migrationshintergrund
(n=218)
stimmt gar nicht

21,9

33,3

32,1

Stimmt kaum

26,5

25,1

39,4

stimmt teilweise

32,0

24,2

22,5

stimmt ziemlich

11,9

11,0

4,1

stimmt ganz

7,8

6,4

1,8

Asymptotische Signifikanz nach H-Test von Kruskal und Wallis: ,000.
U-Test nach Mann-Whitney: Asymptotische Signifikanz zwischen:
„ohne Migrationshintergrund“ und „türkischem Migrationshintergrund“: ,047.
„ohne Migrationshintergrund“ und „russischem/polnischem Migrationshintergrund“: ,000.
„türkischem Migrationshintergrund“ und „russischem/polnischem Migrationshintergrund“: ,018.

Die vorliegende Tabelle zeigt, dass sich die Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch die Migrantengruppen untereinander deutlich voneinander unterscheiden. Eine besonders positive Lehrerunterstützung nehmen Jugendliche ohne Migrationshintergrund wahr. Die geringste Unterstützung äußern die Jugendlichen mit einem russischen bzw. polnischen Migrationshintergrund. Die Jugendlichen mit einem türkischen Migrationshintergrund bewegen sich zwischen beiden Befragtengruppen (Jugendliche ohne Migrationshintergrund, Jugendliche mit russischen/polnischen Migrationshintergrund): Sie verneinen einerseits ähnlich oft wie die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund, dass sie das Gefühl haben, nicht richtig von den Lehrkräften, die sie unterrichten, gefördert zu werden. Andererseits bejahen sie etwa genauso oft wie die Jugendlichen mit einem russischen bzw. polnischen Migrationshintergrund, dass sie von den Lehrkräften nicht unterstützt werden ((vgl. ebd. S. 112).

Tab. 14:Diskriminierung in der Schule bzw. Ausbildung (in Prozent)
Frage: 3.17: Wie stark hat es dich belastet in der Schule bzw. Ausbildung schlechter behandelt zu werden?

Migrations->
hintergrund
Belastung/Diskriminierung
mit
russischem/polnischem
Migrationshintergrund
(n=106)
mit
türkischem
Migrationshintergrund
(n=100)
ohne
Migrationshintergrund
(n=58)
sehr gering 12,3 20,0 27,6
gering 19,8 20,0 36,2
mittelmäßig 25,5 20,0 19,0
stark 17,9 25,0 10,3
sehr stark 24,5 15,0 6,9

Asymptotische Signifikanz nach H-Test von Kruskal und Wallis: ,000.
U-Test nach Mann-Whitney: Asymptotische Signifikanz zwischen:
„ohne Migrationshintergrund“ und „türkischem Migrationshintergrund“: ,005.
„ohne Migrationshintergrund“ und „russischem/polnischem Migrationshintergrund“: ,000.
„türkischem Migrationshintergrund“ und „russischem/polnischem Migrationshintergrund“: ,157.

Interessant ist in der Gesamtschau, dass bei allen untersuchten Diskriminierungsbereichen einerseits die Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sehr groß und statistisch bedeutsam sind, andererseits aber zwischen den Jugendlichen mit russischem/polnischem Migrationshintergrund und türkischem Migrationshintergrund keine statistisch bedeutsamen Unterschiede bestehen. Beide hier untersuchten Migrantengruppen fühlen sich also insofern etwa gleich stark diskriminiert (vgl.ebd. S. 113).

Zusammenfassend betrachtet zeigt sich in Bezug auf die hier analysierte Diskriminierung:


– dass etwa die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund angibt, die nachgefragten Diskriminierungssituationen, in denen sie den Eindruck haben, wegen negativer Vorstellungen, die andere Menschen mit ihrem Aussehen oder ihrer Herkunft verbinden, erlebt zu haben;


- dass Jugendliche, die dies erlebt haben, das Geschehen mit Anteilen zwischen 30% und 45% als ‚stark‘ bzw. ‚sehr stark‘ belastend empfinden;


- dass ihr Erfahrungsraum sich dabei erheblich von den Jugendlichen/jungen Erwachsenen ohne Migrationshintergrund unterscheidet, die solche Erfahrungen in aller Regel nicht machen;


- dass sich die Schule leider nicht als Erfahrungsraum zeigt, der frei von Diskriminierung ist, im Gegenteil; dass diejenigen, die innerhalb oder außerhalb von Schule Diskriminierungserfahrungen machen, dies zum überwiegenden Teil als eine deutliche Belastung empfinden;


- dass Jugendliche/junge Erwachsene mit türkischem Migrationshintergrund als auch Jugendliche/junge Erwachsene mit russischem/polnischem Migrationshintergrund in einem ähnlichen Umfang Diskriminierungserfahrungen machen und sich dadurch in ähnlicher Weise belastet fühlen.

In der Studie wird sehr deutlich dass Jugendliche und Kinder mir Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem signifikant diskriminiert werden. Institutionelle Diskriminierung ist also keine Erfindung interessierter Kreise sondern – so zeigt diese Studie - täglich erfahrene Realität in der Bunderepublik.

Institutionelle Diskriminierung - so wird deutlich – ist keine „Nothandlung“ sondern eine „Macht- und Machtstruktur“ erhaltende Haltung, die die systematische Diskriminierung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte bewirkt.

Auf der einen Seite beklagen Industrie-, Handwerks- und Pflegeberufsvetreter_innen seit geraumer Zeit einen immer dramatischer werdenden Fachkräftemangel, auf der anderen Seite lassen wir die gewaltigen Ressourcen „ungenutzt“ und - teils durch Transferleistungen alimentiert - links liegen.

Die Dominanz des Faktors „soziale Herkunft der Eltern“ spielt im deutschen Bildungssystem eine immer noch eine zu gewichtige Rolle.

Vor dem Hintergrund der Frage “Wie lange wir uns das noch leisten können?“ sieht der Autor hier einen dringenden Forschungsbedarf. Es kann nicht sein, dass das deutsche Bildungssystem eine Gruppe junger Menschen nahezu geschlossen eine Außenseiterrolle zuteilt.

 

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