Um die Bedeutung des Staatsvertrages in Hamburg, wie er im Februar 2013 vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg verabschiedet wurde, richtig einschätzen zu können, muss man einen Blick auf die seit der Einwanderung der Gastarbeiter bei uns anhaltende Debatte über den Islam werfen. Die Debatte war von Anfang an durch zwei Besonderheiten geprägt. Zum einen hat man im Rahmen der Anwerbeabkommen vor allem die türkische Einwanderung mit dem Islam gleichgesetzt und zudem dem türkischen Staat überlassen, für seine Angehörigen religiös zu sorgen. Deshalb entstand alsbald eine vom türkischen Ministerium für religiöse Angelegenheiten getragene religiöse Betreuungsorganisation (DITIB), die sich um die religiösen Belange der Moslems in Deutschland kümmern sollte. Das Problem war hier allerdings nicht nur, dass manche Einwanderer aus der Türkei keineswegs der von DITIB vertretenen Richtung angehörten, sondern sich den Aleviten zuordneten, andere sich säkular gaben1 und manche sogar sehr unterschiedlichen christlichen Gemeinschaften angehörten. Hinzu kam, dass wie zuvor aus dem damaligen Jugoslawien später auch aus Ländern wie Marokko Einwanderer kamen, die mit der türkische Vertretung ohnehin nichts zu tun hatten. Hinzu kam aber noch eine ganz andere Besonderheit. Über der Fokussierung auf die türkische Einwanderung vergaß man, sich eines wenn auch nicht sehr ausgeprägten, jedoch längst in Europa ,zumal auch in Deutschland heimischen Islams zu vergewissern.
In den ersten drei Jahrzehnten hat man es bei dieser eigentümlichen Zuordnung des Islam belassen. Auch nachdem aus den Gastarbeitern Einwanderer geworden sind und die erste Hinterhofmoscheen bzw. alevitische Kulturvereine und manche andere islamnahe Gemeinschaften entstanden sind, hat sich an dieser wenig einleuchtenden Konstellation nichts geändert. Es blieb lokalen Initiativen überlassen, sich um eine angemessenen Einordnung des Islam in all seinen Facetten zu bemühen. In diesem Zusammenhang sind drei unterschiedliche Ansätze entstanden:
- lokale Begegnungen auf Quartiersebene zwischen engagierten Alteingesessenen und Vertretern islamischer Gemeinden,
- interreligiöse Dialoge zwischen christlichen Kirchen und islamischen Gemeinden über abrahamitische Fragestellungen sowie
- hier und da religionsübergreifende Friedensgebete.
Was den Staat betrifft, so hat er sich zunächst gänzlich aus der Debatte heraus gehalten, nicht nur, weil er sich nicht zuständig fühlte, da er die Dinge ja an den türkischen Staat delegiert hatte, sondern auch, weil man die christliche Prägung des hiesigen konkordat-regulierten Staatskirchentums nicht in Frage stellen wollte. Dabei ging es nicht nur darum, dass man dem Islam nicht den Status einer anerkannten öffentlich-rechtlichem Gemeinschaft zusprechen wollte, sondern auch darum, einen möglichen islamischen Religionsunterricht unter Kontrolle zu behalten2. Im Rahmen des Konkordats führen ja die christlichen Kirchen den Religionsunterricht in eigener Regie durch. Und das hätte man dann dem Islam auch zubilligen müssen. Da fügte es sich gut, dass sich die verschiedenen islamisch orientierten Gemeinschaften nicht auf ein einheitliches Dach verständigen konnten und so der angeblich3 zwingend erforderliche zentrale Gesprächspartner fehlte.
Die Situation änderte sich schlagartig nach dem 11. September. Während bis dahin eher die islamischen Gemeinschaften auf mehr Anerkennung drängten, unter anderm, um zentrale Kultstätten (vor allem Moscheen) einrichten und einen eigenen Religionsunterricht an den Schulen durchführen zu können und um der Hinterhofexistenz zu entkommen, drängte jetzt der Staat zu mehr Dialog, genauer zu einem vor allem auf Sicherheitsfragen abzielenden Dialog. Dieser Dialog von oben wurde auf zwei Fragestellungen fokussiert: Anerkennung des Grundgesetzes und Integration. Man wollte in zwei Richtungen die Spreu vom Weizen trennen: Isolierung fundamentalistischer Gruppierungen und Abgrenzung von solchen Bevölkerungsgruppen, die an ihrer Herkunftskultur und Herkunftssprache festhalten. Während die Abgrenzung vom Fundamentalismus keine Probleme aufwarf, war es vor allem die von Soziologen wie H. Esser vermittelte und von der längst überholten alten amerikanischen Schmelztiegelideologie geprägte Integrationsdebatte, die immer wieder zu Schwierigkeiten führte, weil sie- sowenig wie einst um Ursprungsland der Ideologie - zu den gesellschaftlichen Realitäten passt. Interessanter Weise bereitete jedoch die alte staatskirchliche Erwartung, die Religion zur Sicherung gesellschaftlicher Solidarität zu missbrauchen, keine Probleme, weil diese Erwartung zumindest indirekt die religiösen Gemeinschaften staatlicherseits aufwertet und zudem die Erwartung weckt, zumindest auf diese Weise Anerkennung zu gewinnen. Und ausgeklammert wurde in diesem Dialog offenbar weitgehend auch die vor allem auch durch den 11. September stärker gewordene Islamfeindlichkeit in der Bevölkerung4.
In den letzten Jahren haben sich jedoch wieder die alten Fragen in den Vordergrund gedrängt:
Aus denlokalen Begegnungen auf Quartiersebene zwischen engagierten Laien und Vertretern islamischer Gemeinden sind vor allem wegen der Auseinandersetzungen um den Bau islamischer Religionsstätten und den Religionsunterricht interkulturelle bzw. interreligiöse Dialoge geworden.
Aus deninterreligiösen Dialogen zwischen christlichen Kirchen und islamischen Gemeinden über abrahamitische Fragestellungen sind durch konfessionelle Bildungswerke initiierte Begegnungen entstanden.
Und aus den hier und da platzierten religionsübergreifenden Friedensgebeten sind interreligiöse Events geworden.
Nach fünfzig Jahren Einwanderung ist der Islam in seinen unterschiedlichen Facetten offenbar im Weltbild der autochthonen Bevölkerung angekommen, wenn auch auf einem relativ Aniedrigen Level. D.h. man beginn den Islam als Realität hinzunehmen, aber eben doch nur als eine Realität von untergeordneter Bedeutung, so wie man auch den Nachkommen der Generation Gastarbeiter bis heute eine alltäglich Anerkennung verweigert und sie immer noch auf Grund des Migrationshintergrundes ihrer Großeltern als Amit Migrationsgeschichte bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund wird klar, was es mit demStaatsvertrag in Hamburg auf sich hat. Er schafft kein neues Recht5. Aber er anerkennt einerseits die Zuständigkeit der Länder für derartige Fragen, da ja die Regulierung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat Sache der Länder ist. Man nimmt also den Islam als dritte religiöse Säule in Deutschland erstmals ernst. Und er realisiert anderseits auch, dass der Islam eben nur eine Religion minderer Relevanz ist. Der Staatsvertrag gibt einerseits dem Wunsch des Staates nach politischer Kontrolle der Religion nach, wenn immer wieder die Grundgesetzestreue der neuen Gemeinschaften beschworen wird, und er gibt anderseits, wenn auch in sehr dosierter Form (im Sinn eines Anhörungsrechtes), dem Wunsch der islamischen Gruppierungen nach einer Beteiligung am Religionsunterricht und an der Religionslehrerausbildung nach. Diese beiden Punkte sind im Kern das einzige, was im Vertrag über ansonsten geltende Bestimmungen und Reglungen hinaus geht und was zumindest andeutungsweise in Richtung eines Konkordats zielt. Interessant ist aber auch, was alles nicht in dem Staatsvertrag enthalten ist. Den islamischen Gemeinschaften bleibt selbstverständlich der Status einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung (mit Zugang zu einer vom Staat erhobenen Kirchensteuer usw.)genauso wie ein unmittelbarerEinfluss auf entsprechende theologische Fakultäten mit ihren Konkordatlehrstühlen und die ReligionslehrerInnenausbildung (anders als z.B. in Österreich) mit eigenen vom Staat refinanzierten Fachhochschulen und selbstverständlich ein eigenes Beamtenrecht (mit vom Staat bezahlten Leitungspersonen wie dem Kölner Kardinal) verwehrt. 6
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Staatsvertrag einerseits zwar den Islam nur als eine mindere Größe akzeptiert, damit andrerseits aber der heute überall zu beobachtenden Entinstitutionalisierung der Kirchen und der Durchsetzung moderner Alltagsreligionen - wenn auch unbeabsichtigt - durchaus entgegen kommt. 7 So besehen bietet der Staatsvertrag, wenn man einmal von dem in ihm an zentraler Stelle implementierten staatlichen Kontrollwunsch in der Tradition des Staatskirchentums absieht, ein geradezu post-modernes, zukunftsorientiertes Verständnis vom Verhältnis ReligionenBStaat. Es könnte dazu beitragen, das überkommene Staatskirchentum endlich zu überwinden und in eine Richtung zu entwickeln, die der postmodernen Wirklichkeit von einem säkularen Staat und von einer ent-institutionalisierten Alltagsreligionen durchaus adäquat ist.
Fussnoten:
1 Bkz. Wolf-D. Bukow (2011): Die Bedeutung der Gülen-Bewegung als sozio-kulturelle Initiative in der Zivilgesellschaft. In: Ursula Boos-Nünning u.a. (Hg.): Die Gülenbewegung zwischen Predigt und Praxis. Münster: Aschendorff-Verlag S.175ff.
2 Wolf-D. Bukow, Erol Yildiz (Hg.:) (2003) Islam und Bildung. Opladen.Leske & Budrich
3 Aslında Reformasyon dönemiyle birlikte artık Hıristiyanlık’ta da tek bir muhatap bulunmuyordu, ancak Augsburg Din Uzlaşması ile zorunluluk gereği konunun üstü kapatılmıştır.
4 Bkz.: Wolf-D. Bukow (2012): Reden über die Religion In: www.cedis.uni-koeln.de
5 Hamburg Senato Müsteşarlığı’nın 14 Ağustos 2012 tarihli bildirisinde şu yer almaktadır:
Sözleşmeler bir jesttir. Belediye İslam’ın Hamburg’daki varlığını ve Müslüman ve Alevi inancına mensup Hamburgluların komünal sistemimizin eşit birer yurttaşı olduğunu kabul eder. Mevcut yasalardan bağımsız olarak bu sözleşmeler, dinsel birlikte yaşamın farklı alanlarına açıklık getirmektedir.
6 Yalnızca 5. Madde ile ilgili tutanak açıklamasında şöyle denmektedir:
“Bu nedenle Bağımsız ve Hansa Kenti Hamburg, bilim, araştırma ve öğretim özgürlüğünü dikkate alarak, İslam din topluluklarının öğretim üyesi atamaları öncesinde görüş bildirme olanağına sahip olmaları için, İslam din topluluklarına ders içerikleri ile ilgili, bu içeriklerin inanç esaslarından büyük ölçüde sapmaları durumunda, açıklamalarda bulunmalarına fırsat tanımak için, üniversite bölümlerinin akreditasyonu için gerekli esasların oluşturulması sürecine ve sınav ölçütlerinin formülasyonuna dahil edilmeleri için çaba gösterecektir.”
Ancak bu görüş bildirme hakkı, İslam din topluluklarnın bildirilen görüşlerin ortak bir beyan teşkil etmesi durumunda tanınmaktadır.
7 Wenn auch unbeabsichtigt -Bkz. Wolf-D. Bukow (2012): Muslimische Parallelgesellschaft oder ein postmodernes religiöses Milieu? In: Ceylan, Rauf (Hrsg.) Islam und Diaspora. Analysen zum muslimisch-en Leben in Deutschland aus historischer, rechtlicher sowie migrations- und religionssoziologischer Perspektive. Reihe: ROI - Reihe für Osnabrücker Islamstu
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