Es wäre schon ein produktiver Fortschritt, wenn man sich auf den Eigenwert verständigen könnte, es wäre konsequent, wenn Kulturelle Bildung nicht permanent auf Transfereffekte ziele und fast ausschließlich diese evaluieren ließe. Das ist wie damals mit der so genannten Umwegrentabilität, als schlaue Kulturmanager glaubten, mit Evaluationen der Förderung nachzuweisen, dass Investitionen in die Künste sich auch ökonomisch rentieren würden. Hat das was genützt? Scheinbar nicht; denn die Fremdbestimmung von Kunst und Kultur hat es nicht vermocht, dem öffentlichen Kürzen wegen knapper Kassen entgegenzuwirken.
Der Terminus „Kulturelle Bildung“ gehört sicherlich zu den Top Ten des bildungs- und kulturpolitischen Diskurses in Deutschland. Projekte über Projekte allüberall, Plädoyers in Sonntagsreden, Grußworten und Politbotschaften; müßig zu mosern, dass es an den Konsequenzen hapert. Dabei spricht alles dafür, Fürsorge walten zu lassen und Kultur in der Bildungsrepublik zu implementieren, Kulturelle Bildung in der Schule zu verankern und zum Prinzip der Kunstförderung zu machen.
Die theoretischen Grundlagen sprechen dafür: als Auseinandersetzung mit künstlerischen Ausdrucksformen, als Allgemeinbildung mit kulturpädagogischen Mitteln, als Heranführung an den Umgang mit Kunst und Kultur, als Verbreitung zum Verstehen von künstlerischen und kulturellen Phänomenen, selbst als Vermittlung künstlerischer Techniken. Die Geschichte kulturpolitischer Forderungen an eine moderne Gesellschaft spricht dafür: Noch immer gilt Hilmar Hoffmanns Credo einer Kultur für alle von allen: „Eine kritische Forderung alternativer Kulturpolitik ist das kulturelle Lernen. Über die Ausbildung aktiver Wahrnehmung mittels kultureller Medien soll jeder Mensch dazu befähigt werden, sich die ihm angebotenen Fertigkeiten und Informationen zu erwerben und nach Erlangung kultureller und sozialer Kompetenz selbst produktiv zu werden." (1979)
Und auch im Kapitalismus scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass Bildung als Kreativitätspotential wirken könnte. Auch wenn man solcherart Legitimation gar nicht bräuchte, hilft es vielleicht, das einzig auf ökonomisches Wachstum setzende Europa, von der Kraft der Kultur zu überzeugen. So war u. a. in der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen zu lesen:
- Kultur ist unverzichtbar, „damit die EU ihre strategischen Ziele Wohlstand, Solidarität und Sicherheit erreichen und gleichzeitig ihre Präsenz auf den internationalen Bühne ausbauen kann“,
- „Förderung der Kultur als Katalysator für Kreativität im Rahmen der Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung“,
- „Kreativität ist die Grundlage sozialer und technologischer Innovation und damit eine wichtige Antriebskraft für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze in der EU.“ (2007)
Pointiert hat im gleichen Jahr die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht Handlungsempfehlungen für Bund und Länder formuliert, die Stärkung der Fächer der Kulturellen Bildung wie Kunst, Musik, Tanz und Darstellendes Spiel gefordert. Ein Sondervotum plädierte zudem für einen eigenständigen Lernbereich. Die Förderung von Schultheater, Schulchören, Schulorchestern, Schulkinos und Schulbüchereien fand explizit Erwähnung. Hat sich was getan? In der Stundentafel? In der Etablierung des Faches Theater? Die radikale Reform der Schule steht nach wie vor an. Aber auch das wurde bereits in der Bundestagsdrucksache aus 2007 problematisiert: „Kulturelle Bildung ist kein curriculares Element, das dem bestehenden Stunden- und Fächerplan bloß hinzugefügt werden kann. Kulturelle Bildung wirft vielmehr die Frage nach einer grundlegenden Reform der Schule auf.“
Die Zusammenarbeit von Kultur- und Bildungseinrichtungen ist das A und O von Kultureller Bildung. Aber warum ist das fast exklusiv das Interesse der außerschulischen Infrastruktur unserer Kulturlandschaft? Beispielgebend ist diesbezüglich auch der Bund, der Kulturelle Bildung nicht nur gleich in drei Ministerien (Jugend, Bildung und Kanzleramt) auf Referatsebene verwaltet, sondern sogar auch noch besonders artikuliert, indem er in den Zuwendungsbescheiden thematisiert, was Sache sein sollte: “Das Engagement der Kultureinrichtungen muss auch darauf gerichtet sein, ihre vielfältigen Potenziale offensiv zu kommunizieren. Deshalb werden die Zuwendungen des Bundes mit dem Ziel einer aktiven kulturellen Vermittlungsarbeit verbunden. Menschen, die Angebote der öffentlichen Kultureinrichtungen bislang wenig oder gar nicht nutzen, ist ein besonderer Stellenwert einzuräumen. Die Qualität der kulturellen Vermittlung soll regelmäßig in den Aufsichtsgremien erörtert werden und ist Bestandteil der Erfolgskontrolle.“ (2009)
Fakt ist allerdings: Theorie und Praxis klaffen nach wie vor auseinander, Anspruch und Wirklichkeit sind zwei Welten, Lyrik und Logistik der Projekte sind wie Sein und Schein. Mareike Elbertzhagen hat in ihrer Diplomarbeit von 2010 an der Universität Hildesheim die Argumente der Anträge analysiert und festgestellt, dass die meisten Akteure auf kunstfremde Bezüge rekurrieren. Es geht um Persönlichkeitsbildung, Schlüsselkompetenzen und Gesellschaftsfähigkeit, und es geht um Kreativität, interkulturelle Kompetenz und gesellschaftliche Teilhabe. Aber wo bleibt die Kunst, was ist mit den direkten Kunstbezügen? Wieso scheinen die künstlerischen Begründungen nicht zu greifen? Es geht doch eigentlich um künstlerische Kompetenzen und um Partizipation an Kunst und Kultur!
All das und noch viel mehr wird evaluiert. Wirkungsforschung ist die Monstranz der modernen Wissenschaft. Sie wird vorne weg getragen, obwohl sie doch erst danach eine Rolle spielen sollte. Aber allzu gerne wollen die, die Kulturelle Bildung möglich machen, gleich mal wissen, dass dies erfolgreich ist. Langfristige Erfahrungswerte sind in unserer kurzlebigen Zeit eher Luxus. Was blieb vom „Modellversuch Künstler und Schüler“ des Bundesbildungsministeriums um 1980? Eine umfangreiche Evaluation. Aber kaum eine bildungspolitische Konsequenz. Was blieb von dem „Fonds Heimspiel“ der Bundeskulturstiftung aus 2010? Eine umfängliche Bestandsaufnahme. Aber kaum eine kulturpolitische Konsequenz. Und was wird von den „Kulturagenten für kreative Schulen“ der Mercator-Stiftung bleiben? Eine umfassende Reform der schulischen kulturellen Bildung? Oder nur eine schöne Idee, schön evaluiert, aber folgenlos?
Doch Kritik wird nicht gern gewürdigt. Kaum eine Reaktion aus verantwortlichen Kreisen erfolgte, als 2011 der Vorsitzende der Bundesvereinigung für kulturelle Kinder- und Jugendbildung die Desiderate beschrieb. Es fehle an Reichweite, Ausgewogenheit, Zukunftssicherheit, an Abstimmung und Durchlässigkeit. Was zu funktionieren scheint, ist der Wettbewerb um die Lufthoheit mittels Evaluationen. Was weniger angegangen wird, sind Netzwerkstrukturen, die aus den vielen Einzelinitiativen ein Ganzes machen könnten – kommunal, regional, national. Modelle sind nun mal nachhaltig zu sicher, Projekte haben meist ein Ende, und dann?
Kulturelle Bildung braucht Kulturpolitik! Es bedarf einer konzertierten Aktion in Vielfalt, aber koordiniert – und vor allem konzeptioniert. Es wäre schon ein produktiver Fortschritt, wenn man sich auf den Eigenwert verständigen könnte, es wäre konsequent, wenn Kulturelle Bildung nicht permanent auf Transfereffekte ziele und fast ausschließlich diese evaluieren ließe. Das ist wie damals mit der so genannten Umwegrentabilität, als schlaue Kulturmanager glaubten, mit Evaluationen der Förderung nachzuweisen, dass Investitionen in die Künste sich auch ökonomisch rentieren würden. Hat das was genützt? Scheinbar nicht; denn die Fremdbestimmung von Kunst und Kultur hat es nicht vermocht, dem öffentlichen Kürzen wegen knapper Kassen entgegenzuwirken. Deshalb wären belastbarere Begründungen zu befördern, es wäre etwa darauf hinzuweisen, dass Kulturelle Bildung ein Beitrag zur Sicherstellung des Menschenrechts auf Teilhabe ist, dass Kulturelle Bildung als ein gesellschaftlicher Auftrag verstanden werden muss, weil sich nur damit die Steuergelder aller Bürger rechtfertigen lassen – während derzeit nur ein Bruchteil der Bevölkerung regelmäßig die mit öffentlichen Mitteln betriebenen Kunstbetriebe besucht. Kulturpolitik für Kulturelle Bildung sollte sich deshalb leiten lassen von Walter Benjamins Anspruch: „Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist.“ Denn das ist eine wahre kulturpolitische Herausforderung Kultureller Bildung!
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