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Die Gaste, Ausgabe 18 / August-Oktober 2011
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Ein Armutszeugnis für Deutschlands Sozial- und Migrationspolitik
[Almanya’nýn Göç ve Toplumsal Politikalarýnýn Sefaleti]
Dr. Carolin BUTTERWEGGE
Landtagsabgeordnete (Nordrhein-Westfalen) (Die Linke)
Für Furore in Politik und Medien sorgte vor einiger Zeit ein Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) der Vereinten Nationen. Der Staatenbericht übte äußerst harsche Kritik an der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik der Bundesregierung. Die Politik müsse der sozial benachteiligten Situation von Minderheiten und armen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland mehr Aufmerksamkeit schenken und deren Probleme zu lösen suchen, mahnte der Bericht. Er monierte zudem die arbeitsmarktrechtliche Ausgrenzung sowie die prekäre Gesundheitsversorgung von MigrantInnen.
Das mediale bzw. gesellschaftliche Echo auf diesen Bericht in Deutschland war zwiegespalten. Auf der einen Seite stuften Wohlfahrts- und Sozialver-bände und DIE LINKE die Kritik als zutreffend und berechtigt ein, während sich auf der anderen Seite z.B. die Bundesregierung und konservative Medien über den Tenor der Berichterstattung empörten. Die Kommentatoren wiesen die Kritik zurück unter dem Verweis, die Vereinten Nationen sollten sich doch lieber um solche Staaten kümmern, in denen tatsächlich massive Menschenrechtsverletzungen begangen würden und absolute Armut herrsche. Und genau dort beginnt das Problem. Es besteht nämlich darin, dass die Botschaften, gerade weil sie so schlecht waren, gar nicht erst ernst- bzw. angenommen wurden.
Doch was bemängelte die UN tatsächlich an der Situation in Deutschland? Neben der nach wie vor bestehenden Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben und der besonders im Osten Deutschlands prekären Situation auf dem Arbeitsmarkt rügten die Vereinten Nationen insbesondere die verbreitete Armut von Kindern hierzulande. Rund einem Viertel der Kinder und Jugendlichen fehle eine warme Mahlzeit täglich, zudem seien die Hartz-IV-Leistungen unzureichend, da sie keinen angemessenen Lebensstandard gewährten.
Im Bereich der Migrationspolitik rückte der Bericht zwei Problemberei-che in den Fokus: Die Diskriminierung von Zuwanderern sowie die menschrechtlich prekäre Situation der Asylsuchenden, die von sozialen Sicherungssystemen ausgeschlossen seien. Der Staatenbericht kritisierte, dass sich die mangelhaften Teilhabemöglichkeiten für Zuwanderer und ihre Nachkommen im Bereich Bildung und Arbeitsmarkt nicht wesentlich geändert hätten. Die Bundesregierung sei daher aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, mittels derer das Recht auf Bildung und Arbeit besser eingelöst werden könne.
Die UN-Kritik trifft damit ins Schwarze, da sich die benachteiligte Si-tuation von Kindern mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem im letzten Jahrzehnt nur marginal verbessert hat. Das Gros der Minderjährigen aus zugewanderten und/oder einkommensarmen wird nach wie vor auf benachteiligte Positionen im Schulsystem wie Haupt- oder Förderschulen verwiesen, bei denen entweder geringwertige oder gar keine Schulabschlüsse erzielt werden.
Ähnlich verhält es sich im Bereich der beruflichen Ausbildung, wobei sich hier die Situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch verschlechtert hat. Ihre Ausbildungsquote ist gesunken; sie konzentrieren sich zudem in nur wenigen Ausbildungsberufen und sind in den so genannten Warteschleifen überrepräsentiert. Auf dem Arbeitsmarkt manifestiert sich die Benachteiligung von Migrant(inn)en nach wie vor in ihren formal geringeren Berufsqualifikationen sowie ihrer hohen Repräsentanz in Niedriglohnberufen und der nach wie vor mehr als doppelt so hohen Arbeitslosigkeit. Die Diskriminierung von Zugewanderten und ihren Nachkommen wird befördert durch die Nichtanerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, die arbeitsmarktrechtliche Schlechterstellung durch das sog. Inländerprimat und die Personal- und Lohnpolitik der Unternehmen.
Zudem kritisiert der Staatenbericht die Lage der Flüchtlinge und Asyl-suchenden als Besorgnis erregend. Es fehle ihnen an einer angemessenen sozialen und gesundheitlichen Versorgung, Betroffene müssten in überbelegten, mangelhaften (Wohn-)Anlagen leben und hätten nur sehr beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch diese eklatant gegen elementare Menschenrechte verstoßenden Problembereiche sind hausgemacht vom deutschen Migrationsrecht bzw. der Asylpolitik. Die deutsche Politik hat über lange Jahre bewußt ein System etabliert, in dem Asylsuchenden nur eine gesundheitliche Notversorgung und ihren Kindern nur einen erschwerten Zugang zum (Aus-)Bildungssystem erlaubt. Ihnen hat man innerhalb der zugewanderten Bevölkerung die untersten Hierarchiestufen vorbehalten. Das ist skandalös und wird zu Recht von den Vereinten Nationen moniert.
Diese Diskriminierungsstrukturen gilt es, vorurteilsfrei zu analysieren und anzuerkennen. Erst dann sind die Voraussetzungen gegeben, sie auch politisch lösen zu können. Vor diesem Hintergrund lassen vor allem die Reaktionen von Medien und politischen Verantwortlichen auf die Kritik der UN fürchten, dass eine Lösungssuche in der nächsten Zukunft gar nicht erst stattfinden soll.
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