Die Gaste
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ISSN 2194-2668
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Yayýn Sorumlusu (ViSdP): Engin Kunter
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Nationale Integration oder inklusive StadtgesellschaftUlusal
[Entegrasyon ya da Ýçselleyici Kent Toplumu]
Prof. Dr. Wolf-D. BUKOW
(Universität zu Köln)
Gerade erst, nämlich am 27.12.2011 teilt die Bunderegierung mit, sie will den Nationalen Integrationsplan konkretisieren und weiterentwickeln. Zu diesem Zweck wird ein “Nationaler Aktionsplan Integration” erstellt, dessen Ziel es ist, Integration nunmehr “verbindlicher zu gestalten” und die “Ergebnisse der Integrationspolitik überprüfbar zu machen”. Dies klingt vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die auf dem Weg ist, Einwanderung endlich als gesellschaftliche Tatsache zu akzeptieren, durchaus vernünftig. Und wenn man sich die Themen anschaut, der im Aktionsplan berücksichtigt werden sollen, so sind eine ganze Reihe von wichtigen Aspekten erkennbar. Genannt werden u.a. Frühkindliche Förderung, Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit, Pflege, Integration vor Ort, Sprache, Integrationskurse usw. Insgesamt wird der Eindruck vermittelt, dass man sich nach über 50 Jahren ignorierter Einwanderung nicht nur um mehr Realitätsnähe bemüht, sondern jetzt auch seine Hausaufgaben schrittweise erledigt. Es kommt der Regierung nun darauf an, den bisherigen Bemühungen den letzten Schliff zu geben. Man will klar und eindeutig, dass die Menschen mit Migrationsgeschichte wirklich in Deutschland nachweisbar ankommen.
Dieses kurze Statement der Bunderegierung betont noch einmal nachhaltig die vier Thesen zur Integration, die im Prinzip schon aus dem Nationalen Integrationsplan von Juli 2007 vertraut sind, akzentuiert sie aber noch einmal besonders, indem die Aufmerksamkeit auf eine breite Palette von offenbar integrationsrelevanten Handlungsfeldern gerichtet wird und indem Integration nunmehr auch messbar gemacht werden soll. Die Frage ist freilich, ob auf diese Weise den bisherigen Bemühungen nur noch der letzte Schliff gegeben wird, oder ob sich damit ein Land wie Deutschland nicht migrationspolitisch wie gesellschaftspolitisch endgültig ins Abseits manövriert.
Grundsätzlich geht es nach wie vor um die Eingliederung von Menschen, die zunächst als Ausländer nicht dazu gehört haben, dann aber über die Generationen geblieben sind und jetzt als Bevölkerungsgruppe mit Migrationsge-schichte gewürdigt werden sollen. Das Ziel ist nach wie vor, dass diese Menschen in der aufnehmenden Gesellschaft erfolgreich aufgehen und damit unsichtbar werden. Die Eingliederung dieser Bevölkerungsgruppe soll nun nicht nur allgemein postuliert, sondern auch im Blick auf wichtige Handlungsfelder verbindlich und überprüfbar gestaltet, d.h. messbar gemacht werden. Es müssen dann allerdings soziale Leistungen einer Gruppe gemessen werde, die eigentlich gar keine Gruppe, sondern allenfalls eine nach Herkunft definierte statistische Größe darstellt. Und Messen bedeutet stets vergleichen, was in diesem Fall, wo es um Eingliederung geht, heißt, die Situation einer rein statistischen definierten Einheit mit der Lebenssituation einer alteingesessenen Bevölkerung zu vergleichen. Zudem wird das hier vertretene Anliegen noch einmal ausdrücklich zu einem nationalen Anliegen stilisiert. Es geht nicht um eine Eingliederung um die Eingliederung in ein lokales Bildungssystem, in den Arbeitsmarkt vor Ort, es geht auch nicht um die Eingliederung im urbanen Alltagsleben, es geht um die Eingliederung in den Nationalstaat als Ganzes. Schließlich werden die Maßnahmen zielgenau an die Menschen mit Migrationsgeschichte adressiert. Sie sind es, die ihren Platz in der Nationalgemeinschaft finden sollen. Sie müssen ihre Defizite, wie es schon im Nationalen Integrationsplan heißt, überwinden lernen, ihre Abschottung aufgeben, Arbeit anstreben, also erfolgreich aufschließen. 1
Prüft man diese Thesen etwas genauer, erkennt man schnell, dass sie dann aber auch nur Sinn machen, wenn wir es mit einem weitgehend geschlossenen Nationalstaat zu tun haben und wenn dieser Nationalstaat bereit ist, sich zumindest für eine bestimmte Zeit und für eine bestimmte Personengruppe zu öffnen. Und genau so wird hier gedacht, wobei noch einschränkend hinzuzufügen ist, dass es bei der ausgewählten Personengruppe vorzugsweise um solche Menschen geht, die schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben, und sich der Staat außerdem das Recht einräumt, diese Eingliederungsbemühungen zu messen, also zu beurteilen, inwiefern diese Bevölkerungsgruppe ihre unterstellten Modernitäts- bzw. Kulturdefizite akzeptiert hat, sich entsprechend unterordnet und so Teil des Staatsvolkes geworden ist. Die vier Thesen implizieren tatsächlich ein geschlossenes Nationalstaatskonzept, das nur unter extrem restriktiven Bedingungen bereit ist, sich zu öffnen, und diese befristete Öffnung wird auch noch kontrolliert.
Das Problem ist, dass ein solches Gesellschaftsverständnis nicht nur eine reine Wunschvorstellung ist, sondern damit auch noch kulturrassistischen Mythen Tür und Tor geöffnet werden. Empirisch betrachtet haben wir es schon seit Jahrhunderten nicht mit einem sozio-kulturell geschlossenen Staat zu tun – schon gar nicht mit einem Staat, der für sich beanspruchen kann, Maßstäbe für ein gutes Zusammenleben zu liefern. Sondern wir haben es gerade in Deutschland seit je mit vielen unterschiedlichen Regionen mit einer zum Teil beträchtlichen Ein- und Auswanderung zu tun. Mobilität und Vielfalt prägen schon immer und heute erst recht das Bild. Die Antwort auf diese sich immer wieder verändernde Gemengelage war seit je und ist heute erst recht die Stadtgesellschaft mit ihrer formalen Struktur. Der Traum von einem homogenen Staat, der sich erneut in der oben skizzierten Integrationspolitik wieder spiegelt, ist der alte Traum vom Deutschen Nationalstaat, der der Gesellschaft in seiner ungebremsten Version nur den Rassismus und später den Faschismus eingebracht hat, und der uns selbst in seiner neokonservativen Variante bis heute immer wieder daran hindert, sich den empirischen Gegebenheiten erfolgreich zu stellen.
Im Zeitalter der Globalisierung, wo neue Mobilitätsformate und neue Medien den urbanen Alltag prägen, wirken jene nationalen Wunschvorstellun-gen wie ein Albtraum. Die Debatte um Thilo Sarrazin ist dafür ein guter Beleg. Einerseits wirken solche Wunschvorstellungen deplatziert und anachronistisch, anderseits lähmen sie wie die Öffentlichkeit und die Politik und hindern sie, sich mit den praktischen Gegebenheiten vernünftig und besonnen auseinander zu setzen, obwohl uns Stadtgesellschaften tagtäglich vor Augen führen, worin die Chancen von Mobilität und Vielfalt, liegen, worin Risiken eines schnellen gesellschaftlichen Wandels bestehen und was es bedeutet, wenn man den nationalen Mythen nachgibt. Wenn man jenen Wunschvorstellungen dennoch – wieder besseres Wissen – huldigt und sogar zentrale gesellschaftliche Handlungsfelder daraufhin überprüft, welche Eingliederungsfortschritte die sogenannte zweite, dritte und vierte Generation gemacht hat, dann taucht man den gesamten Alltag in ein nationales Licht. Und wenn dann auch noch nachgemessen werden soll, dann bekommt jede alltäglich Praktik eine nationale Aura. So werden Mehrheiten und Minderheiten erzeugt. So funktioniert das ethnische Aufladen der einen zu Deutschen und der anderen zu Ausländern. Und hat man erst einmal unterschiedliche ethnische Gruppen erzeugt, dann kann man in Ruhe darauf warten, wie sie sich, einmal kollektiv marginalisiert, weiter eingrenzen, voneinander abgrenzen und schließlich um ihre Rangordnung zu streiten beginnen.
Stadtgesellschaften haben schon früh erkannt, dass familienanaloge Gesellschaftsmodelle für das urbane Zusammenleben nichts taugen. Sie haben längst andere Formen des Zusammenlebens entwickelt, nämlich formale Systeme, die Mobilität und Vielfalt verkraften. eine ganze Fülle von mehr oder weniger gut arbeitenden, miteinander verschachtelten einzelnen Systemen, derer sich eine Bevölkerung je nach den Gegebenheiten zu bedienen versucht. In solchen Gesellschaften geht es nicht um Integration wie in einer Familie oder einem Freundeskreis, sondern um geregelte “Mitgliedschaften” oder, sozialwissenschaftlich gesprochen, um Inklusion und um deren zivilgesellschaftliche Begleitung. Die Herausforderung in all diesen Gesellschaften besteht eben nicht wie in einer Familie, am Stammtisch oder in einer Glaubensgemeinschaft darin, einen emotionalen Gleichklang zu erzeugen oder gar zu erzwingen, sondern darin, für alle Gesellschaftsmitglieder, also für die gesamte Bevölkerung, die Beteiligung an allen wichtigen Teilsystemen wie Bildung, Arbeit, Infrastruktur usw. zu sichern. Während man bei Integrationskonzepten den Einzelnen im Blick hat und von ihm verlangt, sich ein- und anzupassen, sich einzufügen, seine Überzeugungen notfalls auch neu zu definieren, also in der Gemeinschaft aufzugehen (“Assimilation”), meint Inklusion, dass sich die Stadtgesellschaft als ein Dienstleistungsunternehmen versteht, das der Bevölkerung, den “Vielen als Viele” ausreichend Existenz-möglichkeiten eröffnet (“Akkommodation”) und sich hierbei gegenüber dem Einzelnen rechtfertigt (“Zivilgesellschaft”). Bei der Inklusion geht es nicht um die Anpassung des Einzelnen an die Gesellschaft, sondern um die Anpassung der Gesellschaft an den Einzelnen, also eine möglichst “zielscharfe” Ausrichtung der gesellschaftlichen Systeme. Die gesellschaftlichen Teilsysteme müssen hierbei von den Fähigkeiten lebender Systeme lernen, d.h. lernen, sich immer wieder neu auf eine sich zunehmend wandelnde Bevölkerung einzustellen. Es ist klar, dass das angesichts der zunehmenden Vielfalt und Mobilität der Menschen eine extreme Herausforderung darstellt. Nicht die Menschen sind das Risiko, sondern die Systeme werden zu einem Risiko, wenn sie sich als unflexibel und menschenfern bzw. undemokratisch erweisen. Einwanderung ist nur einer von vielen “Meilensteinen”, die diese Problematik sichtbar werden lassen.
Stadtgesellschaften sind bei der Umstellung des Zusammenle-bens auf systemische Inklusion freilich nicht aus Not gefolgt, weil es anders nicht mehr ging. Sie haben es absichtsvoll, gezielt gemacht und haben dabei sogar experimentiert, wie wir aus der Geschichte der Städte wissen. Es war schnell klar, dass Vielfalt und Mobilität die Städte offen halten, sie lebendig und attraktiv machen. Sie halten die gesellschaftlichen Machtstrukturen offen und stärken die Fluktuation von Fertigkeiten und Kompetenzen. Sie sensibilisieren für die Bedeutung von Kommunikation, Wissen und Bildung. Inklusive Stadtgesellschaften sind zwar eine Herausforderung, aber eine Herausforderung, der es sich zu stellen lohnt. Dazu muss man freilich die Einwanderer nicht nur achten, sondern sie sobald sie in die Stadt kommen, aktiv unterstützen, damit sie sich sofort arrangieren können. So werden Einwanderer zu Pionieren und forcieren sowohl ökonomische als auch kulturelle Entwicklungen, wie Doug Saunders erst neuerdings wieder in einer vergleichenden Untersuchung über den Umgang mit Einwanderung feststellt. 2
Gerade die Tatsache, dass Einwanderung Gesellschaften mobilisiert, ist sicherlich der Grund dafür, dass sich Nationalstaaten wie Deutschland mit Mobilität und Vielfalt schwer tun. Sie fürchten die Folgen dieser Mobilisierung, weil sie die überkommenen Strukturen und die damit verknüpften Privilegien und die gewohnte Machtverteilung in Frage stellen. Die Nationalstaaten heute ohnehin schon durch die Globalisierung und Transnationalisierung der Gesellschaften eine massive Erosion ihrer Macht. So erstaunt es wenig, dass Deutschland wie kaum ein anderes Land für die Abschottung Europas eintritt und die EU-Erweiterung durch die Türkei immer wieder hinausschiebt. Wenn sich Abschottung schon nicht verhindern lässt, dann will man sie wenigstens dosieren. Wie das geht, kann man an dem Umgang mit fünfzig Jahren Einwanderung aus der Türkei schnell erkennen. Um seine sozialen Mythen von der nationalen Gemeinschaft nicht zu gefährden, werden EU-interne Mobilitätsströme und die Einwanderung aus den ehemaligen GUS-Staaten trivialisiert, während bereits der bloße Familiennachzug aus der Türkei automatisch zu einem potentiell kriminellen Akt (“Zwangsehe”) stilisiert wird. Und die Skandalisierung der Einwanderung zeigt Wirkung. Während eine wertgeschätzte Einwanderung die Gesellschaft insgesamt stärkt, bewirkt die Skandalisierung der Einwanderung genau das Gegenteil. Sie befördert Ausgrenzung und Marginalisierung, Gewalt und Elend. Inklusive Stadtgesellschaft geht schon immer anders. In ihr geht es nicht darum, irgendeiner Bevölkerungsgruppe a priori etwas zuzuschreiben oder sie gar zu diskriminieren, zu ethnisieren oder zu kriminalisieren, sondern darum, die Niederlassung der Menschen zu fördern, ihre Kompetenzen, Wünsche und Hoffnungen ernst zu nehmen, ihre Inklusion in alle relevanten Teilsysteme der Gesellschaft zu unterstützen und sie selbst kommunikativ zu beteiligen.
Fussnoten:
1 “Deutschland ist ein weltoffenes Land. Hier leben rund 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen haben längst ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Dennoch wissen wir aber auch um deutliche Integrationsdefizite bei einer leider noch zu großen Zahl von Menschen. Dazu zählen nicht zuletzt mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse und Schwächen in Bildung und Ausbildung. Das sind Defizite, die in einer relativ hohen Arbeitslosigkeit und sogar in gesellschaftlicher Abschottung zum Ausdruck kommen.” Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorwort zum Nationalen Integrationsplan von Juli 2007.
2 Saunders, Doug: Arrival City: Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab. Reinbek 2011.
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