Kulturelle Bildung muss endlich integrativer Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Schule werden. Theater als Schulfach kann nur der erste Schritt sein, hin zu einem Lernbereich, der Musik und Kunst ebenso mit einbezieht wie Medien und Literatur. Diese Akzentsetzung in den Curricula ist längst überfällig, die Stundentafeln reformbedürftig, eine kulturelle Projektorientierung als Schwerpunkt schulischer Verankerung in der Kulturlandschaft zwingend erforderlich. Bei all dem gilt das Gesetz einer Kinder- und Jugendkulturverträglichkeitsklausel, ein Wortungetüm, aber auch ein klarer Auftrag für die Bürgerschaft, in der Gesamtverantwortung von Politik zuvorderst auf die Rahmenbedingungen für Kinder- und Jugendkultur zu achten.
In der Politik wird viel das Wort ergriffen. Und derzeit immer mal wieder gerne zur Kulturellen Bildung. Landauf landab wird in Sonntagsreden die Kunst des lebenslangen Lernens gepriesen, im Alltagshandeln kommen im besten Falle Projekte zustande. Anders in der Freien und Hansestadt Hamburg. Dort gibt es nicht nur eine vielfältige Praxis, sondern auch der politische Wille, „die Maßnahmen im Bereich Kinder- und Jugendkulturarbeit auf eine dauerhaft tragfähige finanzielle Grundlage“ zu stellen. So steht es in der Drucksache 20/1399 aus 2011. Knapp ein Jahr später beantwortet der Senat das Ersuchen mit der Vorlage eines Rahmenkonzeptes; im Kulturausschuss am 9. November 2012 findet in einer Expertenanhörung erstmals eine öffentliche Begutachtung statt. Es geht um eine Auseinandersetzung mit künstlerischen Ausdrucksformen, um eine Allgemeinbildung mit kulturpädagogischen Mitteln, um eine Heranführung an den Umgang mit Kunst und Kultur, um eine Verständnisförderung für künstlerische und kulturelle Phänomene, um eine Vermittlung künstlerischer Techniken.
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Ja, Kinder- und Jugendkultur kann als relevanter Erfahrungs- und Gestaltungsraum im kulturellen Feld begriffen werden. Es gilt das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Kunst und Kultur, das Recht auf ästhetische Erfahrung und künstlerische Praxis! („Kulturpolitik für Kinder“)
• Ja, kulturelle Vielfalt ist nicht nur in einer völkerrechtlichen Konvention geregelt, sie bedarf auch der permanenten Pflege auf kommunaler Ebene. Künstlerische Ausdrucksformen dürfen weder dem Markt geopfert, noch nur den Erwachsenen vorbehalten sein!
• Ja, jedes zweite Kind hat einen Migrationshintergrund. Und was heißt das in ein paar Jahren? Das Erste Interkulturbarometer Deutschland 2012 gibt Antworten, was das für die kulturelle Produktion, Distribution und Rezeption bedeutet; das ist eine Herausforderung gelebter Interkulturalität!
• Ja, Hamburg sieht sich als Tor zur Welt. Und deshalb darf auch in der Kinder und Jugendkultur ein bisschen internationaler gedacht und gehandelt werden. Nicht allein die Hochkultur der Festivals macht das globale Kulturprogramm aus, auch die Breitenkultur von Städtepartnerschaften darf belebt werden!
• Nein, hier irrt der Senat: „Aus dem Rahmenkonzept Kinder- und Jugendkultur in Hamburg ergeben sich keine unmittelbaren finanziellen Auswirkungen.“ Denn Kultur für die junge Generation ist nicht zu haben wie der Kinderteller im Restaurant: Halber Preis, halbe Portion. Geiz ist eben nicht geil und billig ist Qualität nicht zu haben! („Kulturelle Bildung braucht Kulturpolitik“)
Im Gegenteil: Kinder- und Jugendkultur braucht Leuchttürme. Zum Beispiel mit TUSCH; denn Kunst für Kinder ist Bildung für Kinder. Mit Theater und Schule wächst zusammen, was zusammen gehört. Zum Beispiel mit dem Museumsdienst, denn Kulturpädagogik ist der kulturelle Schulrucksack für angewandtes Lernen, Wahrnehmungsschulung und Erfahrungslabor. Zum Beispiel mit JEKI; denn Kultur für alle ist ganz und gar nicht obsolet, es geht nach wie vor um eine musikalische Grundversorgung beim Partizipationsprojekt „Jedem Kind ein Instrument“. Zum Beispiel mit dem FSJ Kultur; denn zwischen Schule und Beruf darf es auch einmal ein Jahr lang ein Kulturstudium im Kunstbetrieb sein, vielleicht sogar als eine Selbstbildung zur Lebenskunst. Zum Beispiel mit einem KinderKulturHaus; denn Stadt braucht auch Identifikation, und Kinder sind auch die Stadt und ein Haus, in dem Kultur groß geschrieben wird, kann Wirkung haben – auch zur Persönlichkeitsentwicklung. Zum Beispiel mit dem Graduiertenkolleg „Versammlung und Teilhabe, urbane Öffentlichkeiten und performative Künste“; denn Forschungen sind nicht nur den Wissenschaften vorbehalten, die Feldforschung ist ein elementares Anliegen der Kunst, und Kinder sind motivierte Forscher, um die Welt kennen zu lernen. Zum Beispiel mit dem Kinder- und Jugendtheater; denn Hamburg spielt schon in den Dramatischen Künsten in der Champions League: Fundus, Junges Schauspielhaus, Triebwerk; mehr davon, pro Schüler zwei Theaterbesuche per annum, wie in der Nachbarschaft, in Dänemark, schulgesetzlich garantiert. („Theater für Kinder und Jugendliche“)
Hamburg hat das Potenzial, Hamburg hat die Akteure, Hamburg hat die Projekte, die Kinder- und Jugendkultur möglich machen. Was es jetzt braucht, ist die Implementierung von Strukturen in der Kulturlandschaft, Patchwork war gestern, heute gilt es die politischen Weichen zu stellen, um das kulturpolitische Programm für die nachwachsende Bevölkerung zu sichern.
• Erstens: Vernetzung!
Kulturelle Bildung ist Querschnittsaufgabe der Politik, das gilt es auch in Kulturpolitik und Kulturverwaltung zu berücksichtigen, Kinder- und Jugendkultur ist Kunst, Bildung und Soziales. Das Netzwerk der Akteure ist die Basis, die transdisziplinäre Kulturarbeit die Methode, die Künste sind das Laboratorium der sozialen Fantasie.
• Zweitens: Vermittlung!
Prinzip und Herausforderung ist die Vermittlung von Kunst und Kultur. Ein Auftrag. Von allen. Für alle. Im Zentrum der Kulturbetriebe, nicht in der Peripherie; personell bestens ausgestattet, nach Umverteilung im Bestand; besser implizit als additiv oder als Appendix. Projekte und Produkte brauchen Vermittlungskonzepte, -ziele und
-kontrolle, im Sinne eines Audience Development.
• Drittens: Verbreiterung!
Kultur in der Stadt ist für jeden da, jeder kann sie gestalten, alle müssen gemeint sein, wenn Kultur öffentlich gefördert wird. Kulturelle Partizipation ist oberstes Gebot. Deshalb ist es wichtig, umzubauen: Von der Angebotsorientierung zur Teilhabeermöglichung. Es braucht Barrierefreiheit, also neue Zugangsformen, es braucht neue Formate, also auch mal raus aus den Musentempeln, ran an die Stadtteile.
• Viertens: Vereinbarungen!
Kulturträger kooperieren, miteinander und mit den Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Die Gesamtschule gehört zur Stadtteilkultur und alle verbünden sich mit Zielvereinbarungen. Denn die angestrebte Perspektive ist nicht nur die Nutzung der Theater, Museen und Bücherhallen, sondern die Einbindung von Kultur in den Alltag, damit das Besondere selbstverständlich wird, damit sich die dritten Orte neben Zuhause und Schule lohnen.
• Fünftens: Verankerung!
Kulturelle Bildung muss endlich integrativer Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Schule werden. Theater als Schulfach kann nur der erste Schritt sein, hin zu einem Lernbereich, der Musik und Kunst ebenso mit einbezieht wie Medien und Literatur. Diese Akzentsetzung in den Curricula ist längst überfällig, die Stundentafeln reformbedürftig, eine kulturelle Projektorientierung als Schwerpunkt schulischer Verankerung in der Kulturlandschaft zwingend erforderlich. Bei all dem gilt das Gesetz einer Kinder- und Jugendkulturverträglichkeitsklausel, ein Wortungetüm, aber auch ein klarer Auftrag für die Bürgerschaft, in der Gesamtverantwortung von Politik zuvorderst auf die Rahmenbedingungen für Kinder- und Jugendkultur zu achten.
Wolfgang Schneider (Hg.): Kulturelle Bildung braucht Kulturpolitik. Hilmar Hoffmanns „Kultur für alle“ reloaded. Hildesheim 2010
Wolfgang Schneider: Kulturpolitik für Kinder. Eine Studie zum Recht auf ästhetische Erfahrung und künstlerische Praxis in Deutschland. München 2010
Wolfgang Schneider: Theater für Kinder und Jugendliche. Beiträge zu Theorie und Praxis. 2., überarbeitete und erweitere Auflage. Hildesheim 2012
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