Vor knapp einem Jahr erschien ein „Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945“ [1]. Mit 162 Beiträgern und über 320 Stichwörtern wirft er einen umfassenden Blick auf die Geschichte, Wahrnehmung und Praktiken der deutsch-französischen Beziehungen. Kein vergleichendes Lexikon existiert für die anderen Nachbarländer von Frankreich bzw. Deutschland. Das bedeutet, dass die deutsch-französischen Beziehungen eine eigene, mehr oder weniger konfliktgeladene Intensität haben.
Heutzutage sind die deutsch-französischen Beziehungen maßgeblich geprägt vom Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963. Dieses Abkommen – damals unterschrieben zwischen dem Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle – definierte das deutsch-französische Tandem als treibende Kraft für die europäische Einigung, verpflichtete beide Regierungen zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik und legte den Schwerpunkt der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Bereich der Jugend. Anschließend wurde das Deutsch-Französische Jugendwerk (5. Juli 1963) gegründet und entstanden zahlreiche Städtepartnerschaften sowie Partnerschaften zwischen Schulen und Vereinen. 1988 ergänzten Bundeskanzler Helmut Kohl und französischer Staatspräsident François Mitterrand den Élysée-Vertrag mit Räte für die Abstimmung von Verteidigungsinteressen (Deutsch-französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat) und der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik. Am 22. Januar 2003, genau 40 Jahre nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags, fand das erste Treffen des Deutsch-französischen Ministerrates statt. 2003 wurde von Deutschland und Frankreich auch der gemeinsam finanzierte Deutsch-Französischer Fonds für Kulturprogramme in Drittländern (Élysée-Fonds), geschaffen, der jährlich deutsch-französische Kulturprojekte mit maximal 25.000 Euro fördert. 2011 standen ihm 460.000 Euro zur Verfügung. Im Jahre 2013 gaben die beiden Regierungschefs eine Absichtserklärung ab, die als Ziel eine doppelte Staatsbürgerschaft für Deutsche und Franzosen anstrebt, sowie Harmonisierung des Familien- und Zivilrechtes hat.
In anderen Worten: seit 1963 ist an die Stelle einer sogenannten ‚Erbfeindschaft‘ – d.h. einer dynastischen Rivalität zwischen den Herrschern Frankreichs und Deutschlands, die im 19. Jahrhundert einen Schub der Nationalisierung erfuhr – ist seit 1963 eine sogenannte ‚Erbfreundschaft‘ getreten. Diese ‚Erbfreundschaft‘ hat dennoch zahlreiche Schattenseiten und Hindernisse. Die tägliche Politik zeigt erhebliche Divergenzen auf. Frankreich setzt beispielsweise immer noch sehr stark auf die zivile Verwendung der Atomenergie für die Stromerzeugung, während es in Deutschland nur die Rede von ‚Energiewende‘ ist. Über die Wirtschafts- und Haushaltspolitik wird ständig gestritten. [2] Mehr noch: Neuerdings ist es vom Stillstand der Beziehungen die Rede. Immer weniger Menschen sprechen die Sprache des Nachbarn, die Dynamik des Jugendaustauschs ist ebenso angeblich verschwunden wie der politische Wille, bestimmte gesellschaftliche Bereiche gemeinsam zu organisieren (im Zweifel wird auf Europa verwiesen) [3]. Wie sehen die Deutschen die Franzosen? Und umgekehrt wie sehen die Franzosen die Deutschen?
Alte Klischees…
Nach wie vor wird Deutschland wird gastronomisch mit Bier, Sauerkraut und Würstchen, allgemein mit teuren-robusten Autos (Schlagwort Mercedes oder BMW) und (spießig-lächerlichen) Gartenzwergen verbunden. Frankreich wird seinerseits vor allem mit Paris und dem Eiffelturm (als ob es außerhalb Paris nur eine Wüste gäbe), Rotwein, Käse, Baguette und Baskenmütze (hier taucht doch die Provinz auf) assoziiert.
Bei einer Umfrage „Was die Deutschen von Frankreich und den Franzosen halten“ im Rahmen des Deutsch-Französischen Jahres 2013 [4] antworteten die Deutschen überwiegend positiv. 83% der Deutschen fanden die Franzosen sympathisch bis sehr sympathisch. Sie hielten die Franzosen für Lebenskünstler, die das Leben zu genießen wissen (93%). Sie sprechen gern vom „Leben, wie Gott in Frankreich“ (das französische Pendant „vivre comme un coq en pâte“ hat keinen Bezug zu Deutschland). Die Franzosen seien außerdem traditionell (93%), herzlich (81%) und geistreich (80%). Frankreich wird mit feiner Gastronomie und gutem Wein assoziiert und 87% der Deutschen meinten, die französische Gastronomie beeinflusse Deutschland. Auch Malerei (75%) und Mode (65%) hätten großen Einfluss, Musik, Literatur und Theater dagegen weniger. Französinnen gelten als elegant und feminin, sie seien verführerischer als ihre deutschen Nachbarinnen. Frankreich wird auch teilweise als Land technologischer Spitzenleistung wahrgenommen. Die Deutschen denken dabei an den TGV und die Luft- und -Raumfahrt, keinesfalls aber an französische Autos oder Umwelttechnologie.
Neben diesen positiven Bildern tauchen auch negative auf. Fast ein Drittel der Deutschen hält die Franzosen für arrogant und nur jeder Zweite hält sie für zuverlässlich. Die Deutschen bedauern die Streikbereitschaft der Franzosen und einen etwas chaotischen Arbeitsstil (der seinerseits von den Franzosen als Flexibilität geschätzt wird). Die Deutschen belächeln schließlich die Franzosen, wenn es um den Schutz ihrer Sprache vor Englisch geht. Während die Deutschen von „Computer“ und „Walkman“ sprechen, prägen bekanntlich die Franzosen neue Wörter: „ordinateur“ und „baladeur“.
Umgekehrt sehen viele Franzosen die Deutschen als sparsam, schwerfällig, humor- und fantasielos. Sie schätzen zwar ihre Disziplin, Ordnungsliebe, Sauberkeit und Pünktlichkeit sowie ihr Organisationstalent und Umweltbewusstsein. Von der Kultur und Literatur Deutschlands kennen sie außer dem Schlagwort „Goethe“ so wie gar nichts – oder fast.
… Realitäten …
Zweifelsohne beschreiben solche Stereotypen nur eine halbe Wahrheit. Zum Bier: Deutschland ist der weltweit größte Weinimporteur. Mehr Käse wird in Deutschland hergestellt als in Frankreich. Beim Autokauf sind die Deutschen weniger patriotisch als die Franzosen. Beide Länder produzieren ebenso viel Müll. Streiks sind zwar viel häufiger in Frankreich als in Deutschland, obwohl deutlich weniger Franzosen Mitglieder einer Gewerkschaft sind. Tatsächlich lag die Anzahl der je 1.000 Arbeitnehmer arbeitskampfbedingt ausgefallenen Arbeitstage im Zeitraum 2000 bis 2007 in Deutschland bei nur fünf Tagen pro Jahr gegen 103 in Frankreich [5]. Die Franzosen arbeiteten aber 2009 1469 Stunden, die Deutschen dagegen nur 1309 Stunden. 2010 konnten die Deutschen nahmen 2010 7,5 Wochen Urlaub, die Franzosen konnten sich nur 7 Wochen lang erholen.
… und neue Bilder
Obwohl das deutsche Frankreichbild ziemlich stabil geblieben ist, hat sich das französische Deutschlandbild einem grundlegenden Wandel unterzogen. Infolge der aktuellen wirtschaftlichen Krise Frankreichs sehen zunehmende Franzosen Deutschland als Land der Modernität und der wirtschaftlichen Rationalität. Immer mehr französische Touristen bereisen Deutschland – weniger das (als konservativ angesehenes) Bayern wie früher, sondern vielmehr die neue Metropole Berlin.
Eine zukunftsträchtige Partnerschaft?
Ist heutzutage die deutsch-französische Freundschaft in Gefahr? Sie wird trotz der Eurokrise immer noch als sehr wichtig angesehen. Wirtschaftlich sind Deutschland und Frankreich stark miteinander verflochten: 400 000 Arbeitsplätze in französischen Unternehmen in Deutschland, 300 000 in deutschen Unternehmen in Frankreich beleben den Arbeitsmarkt. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Frankreichs. Mehr als 70 Millionen Übernachtungsgäste kommen jedes Jahr aus Deutschland nach Frankreich. Kulturell wurde der einzige transnationale staatliche Fernsehsender Arte [6] 1991 gegründet. Aufgrund der harten Konkurrenz (sowie einer höheren Reflexivität der Sendungen?) verzeichnet aber Arte nur geringe Marktanteile (1,7% in Frankreich gegen 0,75% in Deutschland im Jahre 2011).
Die ‚Normalität‘ der deutsch-französischen Freundschaft 50 Jahre nach dem Élysée-Vertrag birgt aber eine Gefahr der Banalisierung und Vernachlässigung. Der Neubeginn der deutsch Kulturbeziehungen nach 1945 verdankte seinem Erfolg einer Initiative der Bürger, die sich die Politik zu eigen machten. Die weitere Pflege der deutsch-französischen Freundschaft wird ebenfalls von der zivilen Gesellschaft abhängen: von den Partnerschaften (zurzeit pflegen 2200 Städte und Regionen Partnerschaften) und vor allem von der Jugend. Auch wenn die Erlernung der deutschen Sprache an den französischen Schulen Anlass zu Sorgen bereitet (Deutsch kommt mit nur 22% der Schüler an dritter Stelle, weit hinter Spanisch und noch mehr Englisch), sind die Schüler und Studierende mobiler geworden. Jedes Jahr unterstützt das Deutsch-Französische Jugendwerk mehr als 200 000 Schüler, die Deutsch als Fremdsprache gewählt haben, bei ihrem Austauschvorhaben in Deutschland und umgekehrt. An den Universitäten sind mehr als 8000 deutsche Studierende in Frankreich und mehr als 6000 französische Studierende in Deutschland eingeschrieben. Die Deutsch-Französische Hochschule/Université franco-allemande verleiht jedes Jahr 1000 Absolventen ein Doppeldiplom, und 66 % dieser Absolventen finden in weniger als drei Monaten einen Arbeitsplatz.
Verweise:
[1] Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Joachim Umlauf (hrsg.), Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, Tübingen, Narr Verlag, 2013 (Editions lendemains, 28).
[2] Bundeszentrale für politische Bildung, Deutsch-französische Beziehungen http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/152428/deutsch-franzoesische-beziehungen
[3] Stefan Martens, in Verbindung mit Julien Thorel (hrsg.), Les relations franco-allemandes. Bilan et perspectives à l’occasion du 50e anniversaire du traité de l‘Élysée, Sondernummer der Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui, 201 (2012).
[4] Umfrage im Rahmen des Deutsch-Französischen Jahres 2013 zur 50-Jahre-Feier der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags http://www.elysee50.de/Klischees-uber-Franzosen-Deutsche,6773.html. Sämtliche angeführte Zahlen stammen aus dieser Umfrage und deren Kommentierung.
[5] Erfassung und Entwicklung von Streiks in OECG-Ländern: www.iwkoeln.de/_storage/asset/58118/storage/.../trends01_09_7.pdf?
[6] Die Eigenschreibweise ist ARTE, eine Abkürzung für Association Relative à la Télévision Européenne (deutsch: „Zusammenschluss bezüglich des europäischen Fernsehens“). Vgl. „Europäisches Fernsehen mit höchstem Anspruch“, Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 30.05.2012, http://www.deutschlandradiokultur.de/europaeisches-fernsehen-mit-hoechstem-anspruch.954.de.html?dram:article_id=207342
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