Die Gaste
ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
ISSN 2194-2668
DÝL VE EÐÝTÝMÝ DESTEKLEMEK ÝÇÝN ÝNÝSÝYATÝF
(Initiative zur Förderung von Sprache und Bildung e.V.)


  • ÖNCEKÝ YAZI
  • SONRAKÝ YAZI
  • Die Gaste, Ausgabe 32 / Mai-Juli 2014



    Die Gaste 32. Sayý / Mayýs-Temmuz 2014

     
     

    Die Gaste

    ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE

    ISSN: 2194-2668

    DÝL VE EÐÝTÝMÝ DESTEKLEMEK ÝÇÝN
    ÝNÝSÝYATÝF

    Yayýn Sorumlusu (ViSdP):
    Engin Kunter


    diegaste@yahoo.com

    Nachhilfe
    Das Geschäft mit der Bildung
    [Özel Ders (Nachhilfe): Eðitimle Ticaret Yapmak]


    Rüdiger-Philipp RACKWITZ

    Nachhilfe ist die Antwort auf zahlreiche Mängel unseres hochselektiven
    Schulsystems. Benachteiligt werden Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen,
    deren Eltern sich Nachhilfe nicht leisten können.

    Im bundesdeutschen Durchschnitt, so das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nimmt rund jeder vierte Penäler in Deutschland im Verlauf seiner Schulzeit mindestens einmal privat bezahlten Nachhilfeunterricht. Dabei wird Nachhilfe in den alten Bundesländern mit 31 Prozent doppelt so häufig nachgefragt wie in den neuen mit 15 Prozent. Das größte Aufkommen im gesamtdeutschen Durchschnitt wird mit 30 Prozent an Gymnasien verzeichnet. Für den Realschulbereich wurden 29 Prozent ermittelt. Unter HauptschülerInnen, die in der Regel aus sozial schwächeren Schichten stammen, ist Nachhilfeunterricht mit 14 Prozent am geringsten verbreitet. (Schneider 2005) Nach Rudolph (2002) sind die Hauptabnehmer von Nachhilfeunterricht zu über einem Drittel GymnasiastInnen und zu knapp 30 Prozent RealschülerInnen. Nur 7 Prozent besuchen eine Hauptschule. In der Grundschule steigt das Nachhilfeaufkommen analog zur Klassenstufe. In der 4. Klasse erhält bereits rund jeder fünfte Schüler Zusatzunterricht, um den Sprung auf die Realschule oder besser noch das Gymnasium zu schaffen.

    Hochrechnungen zufolge lässt sich die deutsche Elternschaft den Extraunterricht für ihre Sprösslinge rund 2 Milliarden Euro jährlich kosten. Dass dadurch die Selektivität des deutschen Schulsystems nach sozialer Schichtzugehörigkeit noch verstärkt wird, liegt auf der Hand. Denn monatliche Kosten zwischen 50 Euro für private und 150 Euro für institutionelle Nachhilfe (Rudolph 2002) können sich nur Elternhäuser leisten, die über die nötigen finanziellen Spielräume verfügen.

    Der Nachhilfemarkt kommerzialisiert sich

    Während in älteren Studien zum Thema hauptsächlich SchülerInnen höherer Klassen, Studierende und (arbeitslose) LehrerInnen als Nachhilfeanbieter ermittelt wurden, haben sich in den letzten 20 bis 30 Jahren zunehmend gewinnorientierte Nachhilfeorganisationen etabliert, die aus Mängeln im Schulsystem, Leistungsdruck und Zukunftsängsten der Eltern Kapital schlagen. Geworben wird mit allem, was das öffentliche Schulsystem nur unzureichend leistet: individuelle Betreuung, qualifizierte Lehrkräfte, die sich regelmäßig weiterbilden, Kooperation mit Eltern und Schulen, Vermittlung von Lerntechniken, Schließen von Wissenslücken, „Selbstbewusstsein durch gute Noten“ und sogar „Spaß am Lernen“.

    Die beiden 1974 gegründeten Institutsketten „Studienkreis“ (ca. 80.000 Schüler jährlich, 80 Mio. € Umsatz) und „Schülerhilfe“ (ca. 60.000 Schüler jährlich, 60 Mio. € Umsatz) gehören dabei zu den Marktführern in der Bundesrepublik mit einem gemeinsamen geschätzten Marktanteil von 15 bis 20 Prozent. Beide verfügen über jeweils rund 1000 Filialen im Bundesgebiet, stellen eigenes Lernmaterial her, locken mit Gratis- oder Schnupperangeboten und bieten Ferienkurse sowie Hochbegabtenförderung an. Wettbewerbe, Preisverleihungen und werbewirksame Aktionen, wie Bücherspenden an öffentliche Schulen, um „die eng budgetierten Schulen zu unterstützen“, runden das Bild ab.

    Neben den Branchenriesen tummeln sich noch zahlreiche kleine Anbieter auf dem Nachhilfemarkt. Die Anzahl ist allerdings nicht überschaubar, denn prinzipiell kann jeder selbst ernannte Hobbypädagoge Gruppen- oder Einzelnachhilfe anbieten. Margitta Rudolph ermittelte in ihrer Untersuchung einen Gesamtanteil von 52 Prozent an NachhilfeschülerInnen, die Nachhilfe von einem institutionellen Anbieter erhalten. Bezahlte Nachhilfe von Privat rangiert in jeder der von ihr untersuchten Klassenstufen (5 bis 10) auf Platz zwei, Verwandte und Freunde sowie schulinterner Zusatzunterricht fielen im Vergleich kaum ins Gewicht.

    Qualität von Nachhilfeunterricht

    Ob privat oder institutionell, inhaltlich wird Nachhilfeunterricht hauptsächlich von den Hausaufgaben, Stoffwiederholungen und Vorbereitungen auf Klassenarbeiten bestimmt. Lern- und Arbeitstechniken macht entgegen den Werbeversprechungen nur einen geringen Anteil aus. So bezeichneten in der Studie von Margitta Rudolph 100 Prozent der interviewten institutionellen NachhilfelehrerInnen ihren Unterricht als "Reparaturprozess", statt als "Lernzuwachs durch Erwerb von Lern- und Arbeitstechniken". Das birgt für viele NachhilfeschülerInnen die Gefahr auf Nachhilfeunterricht angewiesen zu bleiben, um in der Schule bestehen zu können. Ein Indiz dafür ist die hohe Zahl an Langzeitnachhilfeverhältnissen, denn nach jüngsten Ergebnissen zu urteilen ist Nachhilfeunterricht für viele SchülerInnen mittlerweile zu einer Dauereinrichtung geworden.

    Trotzdem schneidet Nachhilfe bei der Bewertung durch die Abnehmer insgesamt gut ab, denn alles in allem hilft sie die Schulnoten zu steigern, wobei privater und schulintegrierter Zusatzunterricht positiver eingeschätzt wird als institutioneller.

    Nachhilfefächer und Nachhilfegründe

    Am gefragtesten sind die Kernfächer Mathematik, Englisch und Deutsch, wobei eine Versetzungsgefährdung in den meisten Studien erst an zweiter oder dritter Stelle rangiert. In erster Linie wird Nachhilfe zur Verbesserung und Optimierung der Zensuren in Anspruch genommen und zwar besonders in Jahrgangsstufen, in denen Schul- und Bildungslaufbahnentscheidungen getroffen werden oder ein Ausbildungsplatz gesucht wird.

    Dabei begründet ein Viertel der Eltern die nicht zufriedenstellenden Noten ihrer Kinder mit didaktischen Defiziten einiger LehrerInnen, gefolgt von zu schnellem Voranschreiten im Unterrichtsstoff, zu wenig Übungen und Wiederholungen im Unterricht, den Hausaufgaben sowie Unterrichtsausfällen. Darüber hinaus bekommen zwischen 25 und 30 Prozent der NachhilfeschülerInnen privaten Zusatzunterricht um Leistungseinbrüchen vorzubeugen, obwohl weder eine Gefährdung der Versetzung noch des Schulabschlusses vorliegt.

    Außerschulische Ursachen für Nachhilfe wie Krankheit, familiäre Probleme, ein Umzug oder Schulwechsel spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Es sind Mängel in Schule und Unterricht, die Angst vor sozialer Benachteiligung und verwehrten Karrierechancen durch schlechte Schulnoten, die zu außerschulischem Zusatzunterricht greifen lassen, denn Bestnoten spielen eine entscheidende Rolle im dreigliedrigen Schulsystem, bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz und dem späteren Einstieg in den Arbeitsmarkt.

    Ist Nachhilfe verfassungskonform?

    Angesichts der zunehmenden Expansion der nach marktstrategischen Gesichtspunkten betriebenen Nachhilfeinstitute wies der Erziehungswissenschaftler Michael Weegen bereits Mitte der achtziger Jahre darauf hin, dass zumindest die institutionalisierte Nachhilfe, gemessen an den Ansprüchen und Präambeln unseres Gesellschaftssystems, nicht bestehen dürfe: „Denn die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung für das Bildungswesen bedeutet auch, daß die institutionalisierte Sozialisation – und diese wird auch in allgemeinbildenden Ergänzungsschulen und Nachhilfeschulen jeglicher Art betrieben – in den Bereich öffentlicher Kontrolle einzubeziehen ist.“ (Weegen 1986) Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann räumte zwar ein, dass in einer demokratischen Gesellschaft die Etablierung kommerzieller Nachhilfeschulen nicht verhindert werden kann, forderte aber eine strukturpolitische Diskussion darüber, welcher Stellenwert diesen zukommen soll und betont die Wichtigkeit „parlamentarisch kontrollierbarer Regeln und Vorgaben“ (Hurrelmann 1996) Passiert ist bisher allerdings nichts.

    Die Verantwortlichen sind gefragt

    Jenen, die aus der Bildungsmisere, dem Leistungsdruck und den Zukunftsängsten der Eltern Kapital schlagen ist allerdings am wenigsten ein Vorwurf zu machen. Sie bedienen eine Nachfrage, die unser hochselektives Schulsystem erst geschaffen hat. Gefragt sind jene, die dafür verantwortlich zeichnen und sich aus ideologischen Gründen der längst überfälligen Reform des dreigliedrigen Schulsystems verweigern. Denn gerade das Ansteigen des Nachhilfeaufkommens vor Entscheidungen, die die Schul- und Bildungslaufbahn betreffen, weisen darauf hin, dass Nachhilfeunterricht weniger ein Mittel zur Behebung von Leistungsschwächen ist, deren Ursachen im außerschulischen Bereich zu finden sind, sondern vielmehr eine Reaktion auf die Selektivität des dreigliedrigen Schulsystems.

    Kommerzielle Nachhilfeinstitute sind aber auch eine Antwort auf Mängel und Strukturen des Halbtagsschulsystems, wie Lehrermangel, zu große Klassen, Unterrichtsausfall, zu wenig Gelder, die nur eine ungenügende individuelle Förderund Betreuungsmöglichkeit sowie Leistungsentfaltung zulassen. Denn sowohl Einzelals auch Gruppennachhilfe vermag Noten zu steigern, während Schule es nur bedingt zu schaffen scheint, Lehr-/Lernprozesse so zu gestalten, dass die

    SchülerInnen die geforderten Leistungen ohne außerschulischen Zusatzunterricht überhaupt erbringen können.

    Besonders schwer wiegt, dass SchülerInnen aus sozial schwachen Verhältnissen aufgrund der begrenzten finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern nicht in der Lage sind, zusätzliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn nach den Daten des DIW bekommen mit 36 Prozent doppelt so viele Kinder aus Haushalten im oberen Einkommensviertel bezahlte Nachhilfe wie Kinder aus Haushalten des unteren Einkommensviertel (17 Prozent). Ihnen bleiben also zahlreiche Bildungs- und damit auch Lebenschancen verwehrt, die sich SchülerInnen aus sozial besser gestellten Verhältnissen mit Nachhilfeunterricht erkaufen (lassen) können.

        zitierte Literatur
        Hurrelmann, K.: Das deutsche Schulwesen privatisiert sich. In: Pädagogik. 51, 1996, H. 9, S. 35-39
        Rudolph, M. (2002): Nachhilfe – gekaufte Bildung? Empirische Untersuchung zur Kritik der außerschulischen Lernbegleitung. Eine Erhebung bei Eltern, LehrerInnen und Nachhilfeinstituten. Bad Heilbrunn: Klinkhardt
        Schneider, Th.: Nachhilfe als Strategie zur Verwirklichung von Bildungszielen. Eine empirische Untersuchung mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). In: Z.f.Päd. 51, 2005, H. 3, S. 363-379
        Weegen, M. (1986): Das Geschäft mit der organisierten Nachhilfe. In: Jahrbuch der Schulentwicklung Bd. 4 1986. Weinheim und Basel: Beltz