Die Gaste
ÝKÝ AYLIK TÜRKÇE GAZETE
ISSN 2194-2668
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Yayýn Sorumlusu (ViSdP): Engin Kunter
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Parallelgesellschaften in Deutschland Versuch einer Annäherung aus der Perspektive der inter-/transkulturellen Pädagogik
[Almanya’da Paralel Toplumlar Kültürlerarasý ve Transkültürel Pedagojinin Bakýþ Açýsýndan Bir Ýrdeleme Giriþim]
Prof. Dr. Havva ENGÝN [Heidelberg Eðitimbilimi Yüksek Okulu]
In Deutschland geht es bei Diskussionen um Parallelgesellschaften nahezu immer um das Zusammenleben von Einheimischen und Migranten, wobei die Argumentation von einer Dichotomie des „wir“ und der „anderen“ geleitet wird. Zurecht halten Soziologen dieser Haltung vor, dass sie „keine Abbildung gesellschaftlicher Verhältnisse ist, sondern eine Konstruktion von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, deren Funktionalität in der Konstruktion von einheitlichen Gruppen zu sehen ist, um auf dieser Weise die Hegemonie der Mehrheitsgesellschaft zu legitimieren und zu stabilisieren“ (Roth 2007:164 ).
Weiterhin ist zu konstatieren, dass die Diskussionen um Parallelgesellschaften häufig nicht den Migranten an sich im Blick haben, sondern im Zentrum der Auseinandersetzungen die Integration von muslimisch (türkischen) Migranten steht. Lanciert werden sie zum überwiegenden Teil von Vertreter/-innen politisch konservativer Kreise und verbreitet über entsprechende Medien.
Die Diskussionen um die Existenz von Parallelgesellschaften sind in Deutschland durchweg negativ besetzt und operieren mit antagonistischen Begrifflichkeiten. Am Beispiel der Kopftuchdiskussionen wird dies besonders deutlich: das Kopftuch wird – je nach Thema und Diskursstrang - entweder als Instrument der Unterdrückung der muslimischen Frau oder als politisches Symbol bzw. politisches Ausdrucksmittel seiner Trägerin bewertet, obwohl in Deutschland nicht eine einzige empirisch belastbare Studie existiert, welche dieses Kleidungsstück als solches ausweist.
In der Hauptsache geht es in den Diskursen darum, deutlich zu machen, dass die muslimischen Migranten integrationsunwillig sind, sich Enklaven, so genannte Parallelgesellschaften schaffen, in denen andere Werte und Normen gelebt und vermittelt werden als in der Mehrheitsgesellschaft. Nach dieser Argumentationslogik belasten die muslimischen Migranten den sozialen Frieden, indem sie mit ihrem Wertesystem die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik unterhöhlen.
• Sind Parallelgesellschaften eine „Erfindung“ der Moderne?
Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte von Migration. Immer wenn Menschen von einer Region in eine andere wanderten, suchten sie die Nähe von denjenigen, welche vor ihnen gekommen waren und die den Neuankömmlingen in der Fremde ein vertrautes Umfeld boten. Dies führte zur Entstehung von Wohnsiedlungen und Quartieren, in denen sich Migranten gleicher regionaler Herkunft konzentrierten. Die Ortsnamen verschiedener großer Metropolen legen noch heute Zeugnis dieser Entwicklungen ab.
Dabei unterscheidet die Stadtsoziologie in Bezug auf die Situation multiethnischer Stadtteile verschiedene Arten des Wohnens in diesen: soziale versus ethnische sowie erzwungene versus freiwillige Segregation. Krummacher führt dazu aus (2007:118):
Soziale Segregation ist meist erzwungen (Sozialstatus und Ausschluss von anderen Wohnungsteilmärkten). Ethnische Segregationen können freiwillig oder erzwungen sein und werden von den Betroffenen sehr unterschiedlich bewertet. Erzwungene Segregation sollte durch Schaffung von Wahlmöglichkeiten der Betroffenen, d.h. vor allem über sozialintegrative Strategien abgebaut werden (Bildung, Arbeit, Öffnung von Wohnungsmärkten, Wohnumfeld- und Infrastrukturverbesserungen). Dazu gehört auch eine aktive Anti-Diskriminierungspolitik.
Weiterhin weist Krummacher auf einen wichtigen Aspekt hin, nämlich dem der Wahlmöglichkeit des Lebens in bestimmten ethnisch dominierten Stadtquartieren (2007: 111):
Freiwillige Segregationen sind in demokratisch-pluralistischen Stadtgesellschaften zuzulassen; sie sind kein genereller Hinweis auf „fehlende Integrationsbereitschaft“ und können durchaus zur Stabilisierung von Lebenslagen in benachteiligten Stadtteilen beitragen. Die Aktivierung vorhandener Ressourcen, wenn sie gewollt und selbst bestimmt sind, ist möglich.
Zum Problem wird das Wohnen in diesen Wohnquartieren, wenn die Bewohner/-innen wegen diverser Gründe keine Wahlmöglichkeiten haben, aus diesen wegzuziehen (Krummbacher 2007:111):
Erzwungene Segregationen beruhen auf fehlenden Wahlmöglichkeiten, müssen passiv hingenommen werden. Sie sind entweder status- und wohnungsmarktbedingt, gründen sich auf mangelnde Zahlungsfähigkeit und Diskriminierungsbarrieren des Wohnungsmarktes und/oder, sie werden administrativ, z.T. rechtlich erzeugt (Wohnungszuweisung durch Behörden, Platzierung von Unterkünften für Obdachlose und Flüchtlinge).
• Das deutsche Bildungssystem als Beispiel der Ausbildung von Parallelgesellschaften
Am eindrücklichsten zeigt sich die Ausbildung von Parallelgesellschaften im Bildungsbereich. Zeichen hierfür ist die rasant wachsende Zahl von Privatschulen, insbesondere mit konfessioneller Trägerschaft. Sowohl was das Einkommen, die Schicht als auch die konfessionelle Zugehörigkeit angeht, sind diese Schulen nur für eine Klientel offen und segregieren Kinder, die diesem Muster nicht entsprechen.
Aber auch unabhängig von Privatschulschulgründungen findet in deutschen Bildungsinstitutionen eine starke Selektion und damit die Schaffung von Bildungs-Parallelgesellschaften statt: Viele Kindergärten und Grundschulen in multiethnisch zusammengesetzten Stadtteilen geben sich ein pädagogisches Profil und erhalten so die Möglichkeit, ihre zukünftige Klientel durch persönliche Bewerbungsgespräche auszuwählen. So erfolgt die Schaffung von Lerngruppen nach eigenhändig festgelegten Kriterien und nicht entsprechend der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung vor Ort.
Die bildungspolitischen Entwicklungen bzw. Entscheidungen bezüglich des Umgangs mit Zwei-/Mehrsprachigkeit offenbaren ebenfalls die herrschende Doppelmoral im Bildungswesen: Während potenziell zweisprachigen Migrantenkindern das Erlernen der Erst-/Herkunftssprachen verboten wird, mit der Begründung, sie verhinderten das Deutschlernen und überforderten die Lerner/-innen, wird auf der anderen Seite in einem atemberaubenden Tempo in allen Bundesländern in Kindergärten und Grundschulen verpflichtender Frühfremdsprachenunterricht eingeführt, ohne dass Fragen nach der Effektivität und pädagogischer Sinnhaftigkeit ernsthaft geprüft werden.
Es muss in diesem Zusammenhang ernsthaft gefragt werden, was die Akteure der Diskussionen um Parallelgesellschaften unter gesellschaftlicher Vielfalt verstehen; es kann ihnen nicht um die Schaffung von Bildungsteilhabe und –gerechtigkeit für alle gehen, denn dann würden sie die Praktiken, welche für den Bildungsbereich aufgezeigt wurden, mit gleich starker Vehemenz ablehnen, was bisher jedoch ausgeblieben ist.
Die lauthals geführten Diskussionen um Entstehung von muslimischen Parallelgesellschaften erwecken den Anschein, dass sie in erster Linie dazu dienen, von gesellschaftlichen und politischen Missständen abzulenken. Ein Beispiel: mittlerweile ist es kein Geheimnis, dass das deutsche Bildungssystem weltweit das am stärksten selektierende ist, insofern die Behebung von Chancenungerechtigkeit langfristig nur durch eine andere Bildungsteilhabe und damit durch einen grundlegenden institutionellen Umbau des Bildungssystems zu erreichen ist. Obwohl das PISA-Konsortium die fehlende Chancengerechtigkeit statistisch errechnete – die Wahrscheinlichkeit eines Akademikerkindes, das Gymnasium zu besuchen, liegt bei GLEICHER Leistung um ein vielfaches höher als bei einem Arbeiterkind –– werden bei den allermeisten Diskussionen weiterhin die muslimischen Migranteneltern, die mehrheitlich der sozialen Unterschicht angehören, für den Bildungsmisserfolg ihrer Kinder verantwortlich gemacht – und die ausbleibende Bildungsintegration der Kinder mit Parallelvergesellschaftung zu erklären versucht. Schulze bemerkt zu dieser Praxis (Schulze 2007:215):
Konstatiert man eine generelle Bildungsabstinenz der Migrant(inn)en, so geraten die hohe Selektivität des Bildungssystems, die enge Verknüpfung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg aus dem Blickfeld. Problematisiert man ein mangelndes Interesse der Eltern, vor allem den Töchtern zu einer guten (Aus-)Bildung zu verhelfen, müssen keine Erklärungen dafür gefunden werden, warum allochthone wie autochthone Mädchen bessere Schulabschlüsse erzielen als ihre männlichen Altersgenossen, jedoch auf dem Ausbildungsmarkt deutlich schlechtere Chancen haben (…).“
Conclusion:
Es erweckt den Anschein, dass die Diskurse um die Existenz von vermeintlichen Parallelgesellschaften in erster Linie den Akteuren helfen sollen, welche sie anstoßen. In ihrer Tiefenstruktur geht es bei diesen Auseinandersetzungen insbesondere um die verdeckte Artikulation von Ängsten und damit verbunden, um den Erhalt von gesellschaftlicher Macht und Hierarchien. Werden jedoch bestimmte soziale Gruppen, die künftig als „Konkurrenten“ immer mehr relevant werden, diskreditiert und ihnen die Kompatibilität mit der hiesigen Gesellschaft abgesprochen, dann kann als Folge hieraus deren gesellschaftliche Teilhabe in Frage gestellt werden. Auf die Frage, warum das so ist, gibt Roth folgende Antwort (2007:171):
Ziel ist es, die Migrant(inn)en in einer Unterschichtposition zu befestigen. So gesehen macht alles einen Sinn: Das Geschrei über die mangelnden Deutschkenntnisse und Integrationsbereitschaft kaschiert lediglich die Rationalität eines „doing classes“, der fortwährenden Reproduktion einer geschichteten Klassengesellschaft, die eine ethnische Linie in ihre Schichtungskonstruktion eingezogen hat. (…) Die Skandalisierung einer Gruppe verschleiert den Systemeffekt der Machterhaltung.“
Literatur:
• Bukow, Wolf-Dietrich; Nikodem, Claudia; Schulze, Erika (Hrsg.) (2007): Was heißt hier Parallelgesellschaft? Zum Umgang mit Differenzen. Wiesbaden.
• Bukow, Wolf-Dietrich (2007): Die Rede von Parallelgesellschaften Zusammenleben im Zeitalter einer metropolitanen Differenzgesellschaft. In: Bukow/Nikodem/Schulze/ (Hrsg.) (2007): Was heißt hier Parallelgesellschaft? S.29-51.
• Krummacher, Michael (2007): Zum Umgang mit „Minderheitenghettos“ –Differenzen in der „Sozialen Stadt“. In: Bukow/Nikodem/Schulze/ (Hrsg.) (2007): Was heißt hier Parallelgesellschaft? S. 109-120.
• Roth, Hans-Joachim (2007): Multilingualität und Monolingualität. In: Bukow/Nikodem/Schulze/ (Hrsg.) (2007): Was heißt hier Parallelgesellschaft? S. 159-173.
• Schulze, Erika (2007): Zwischen Ausgrenzung und Unterstützung. Bildungsbiographien von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In: Bukow/Nikodem/Schulze/ (Hrsg.) (2007): Was heißt hier Parallelgesellschaft? S. 213-228
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