Wenn alle vier Jahre die Bundestagswahlen stattfinden, veröffentlichen die Parteien vorher ihre Wahlprogramme, in denen sie den WählerInnen versprechen, was sie im Falle des Machterhaltes oder der Machterlangung umsetzen wollen. In der Analyse geht es um die spezifischen Inhalte der Haltungen der Parteien zu gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration, ImmigrantInnen, Integration, Staatsbürgerschaft usw.
CDU/CSU
Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013-2017
Das Wahlprogramm der CDU/CSU umfasst insgesamt 127 Seiten. Schwerpunkte sind u.a. „Deutschlands Wohlstand sichern“, „Deutschlands Chancen nutzen“, „Deutschlands Zusammenhalt stärken“ und „Deutschlands lebenswerte Heimat schützen“. Das Thema Integration wird im Hauptkapitel 4 „Deutschlands Zusammenhalt stärken“ im Unterkapitel >4.3 Vielfalt bereichert - Willkommenskultur schaffen< abgehandelt. Gleich im ersten Satz wird behauptet:
„Deutschland ist ein erfolgreiches Integrationsland. Wer unsere gemeinsamen Werte teilt, wer mit anpackt und unser Land voranbringen will, ist uns willkommen“ (S. 63).
Und es geht weiter:
„CDU und CSU wollen Aufstiegswillen und Bereitschaft zur Mitgestaltung von Menschen, die in unser Land kommen, gezielt fördern.
Im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe wollen wir weitere hochqualifizierte und leistungsbereite Menschen aus anderen Ländern für uns gewinnen. Für sie und ihre Familien muss unser Land zum Leben und Arbeiten noch attraktiver werden.
....
Wir wollen, dass Rathäuser zu ‚Willkommenszentren’ werden, ... “(S. 64)
Es werden zwar einige wenige Defizite benannt und daher kurz gefordert, die Bildungschancen zu verbessern und die deutsche Sprachfähigkeit zu fördern. Aber viel länger ist der Absatz zu „Einbürgerung: Bekenntnis zu unserem Land und zu unseren Werte“. So heißt es:
„CDU und CSU treten zugleich Integrationsverweigerern entschieden entgegen, auch im Interesse der großen Mehrheit rechtstreuer Zuwanderer. Wer unsere Unterstützung will, muss durch sein Verhalten den Willen zur Integration deutlich machen. Wer sich seinen Pflichten entzieht, muss mit Folgen für seinen Aufenthaltsstatus und seine Leistungsansprüche rechnen“ (66).
Kritisch ist hier zu fragen: Wer definiert wie den „Integrationswillen“ oder den „Pflichtenentzug“? An welchen Kriterien und Fakten wird eine „erfolgreiche“ Integrationspolitik gemessen? Und wer entscheidet wie über die „Rechtstreue“ der Zuwanderer? Das Strafgesetzbuch? Im Übrigen werden im gesellschaftspolitischen Diskurs seit Jahren geforderte Punkte wie die doppelte Staatsbürgerschaft und das kommunale Wahlrecht strikt abgelehnt.
Fazit:
Die CDU/CSU kann noch immer nicht über ihren „alten“ Schatten des „Deutschtums“, der „deutschen Heimat“ springen. Es ist ein Programm zwischen Willkommenskultur für kluge Köpfe und drohender Abschreckung für Integrationsverweigerer.
SPD
Das WIR entscheidet. Das Regierungsprogramm 2013-2017
Das Wahlprogramm der SPD umfasst insgesamt 118 Seiten. Schwerpunkte sind u.a. „Finanzkapitalismus bändigen“, „Bildung, Gleichberechtigung und Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft “, „Soziale Sicherheit“ und „Gute Nachbarschaft“. Unter dem Hautpunkt III. „Bildung, Gleichberechtigung und Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft“ gibt es den Unterpunkt 5 „Gleichberechtigte Teilhabe: Für eine moderne Integrationspolitik“. Im ersten Absatz wird darin gefordert:
„Deutschland ist ein offenes Land. Wir setzen uns für ein gleichberechtigtes Miteinander in Vielfalt ein. Integrationspolitik neu zu denken hießt letztendlich auch, den Begriff der Integration zu überwinden und durch den selbstverständlichen gesellschaftspolitischen Anspruch auf Teilhabe und Partizipation zu ersetzen“ (S. 58).
Abgesehen von der sprachlichen Fehlleistung, dass Partizipation Teilhabe bedeutet, geht dieser Ansatz zumindest in die richtige Richtung von Inklusion aller BürgerInnen, um Diskriminierung zu vermeiden. Im Einzelnen fordert die SPD
– die doppelte Staatsbürgerschaft,
– das kommunale Wahlrecht für Ausländer nach einem fünfjährigen legalen Aufenthalt,
– die Öffnung des öffentlichen Dienstes für Menschen mit Migrationshintergrund und
– keine Kürzung des Programms „Soziale Stadt“ für benachteilige Stadtquartiere.
– Mädchen und Jungen, die hier geboren werden, sollen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und behalten.
Fazit:
Das SPD-Wahlprogramm benennt zwar einige Probleme, aber im konkreten Katalog an weitergehenden Vorschlägen, z.B. in Bezug auf Wahlrecht ist es eher mager.
Bündnis 90/Die Grünen
Zeit für den grünen Wandel. Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen. Bundestagswahlprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Wahlprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN umfasst insgesamt 320 Seiten. Es werden insgesamt 16 Themenbereich abgehandelt. Schwerpunkte sind u.a. „100% sichere Energie“, „Anders wirtschaften“, „Teilhabe für Jung und Alt“, „Intakte Umwelt und gesunde Ernährung für alle“, „Freies Netz und unabhängige Medien für alle“ und „BürgerInnenrechte stärken“.
Das Wahlprogramm spricht zwar sehr viele Themen an, aber das Thema Integration wird relativ kurz behandelt, obgleich gerade DIE GRÜNEN stets ein Vorreiter in Sachen Deutschland als Einwanderungsland waren. So heißt es zunächst kurz im Einleitungskapitel:
„Wir wollen unsere Einwanderungsgesellschaft so gestalten, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft gleichberechtigt zusammenleben können. Wir wollen eine moderne Integrationspolitik, die anerkennt, dass jede Einbürgerung ein Erfolg ist“ (S. 17).
Im Oberpunkt „N. BürgerInnenrechte stärken“ wird in den Unterpunkten 1.“Sicherheit in den Dienst der Freiheit stellen“ und 6. „Menschen einbürgern - mit Integration und Inklusion“ das Thema konkreter, aber auch nicht sehr ausführlich behandelt (vgl. S. 222f und 231f):
– die interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes für Personen mit Migrationshintergrund,
– die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft,
– Deutschkurse im Inland für alle Interessierte zu öffnen,
– den Nachzug ausländischer Ehegatten und eingetragener LebenspartnerInnen erleichtern und
– die Abschaffung des Sprachtests im Ausland.
Fazit:
Der Forderungskatalog ist zwar in zwei Punkten umfangreicher als der der SPD, aber er bleibt hinter den Erwartungen zurück.
FDP
Bürgerprogramm 2013. Damit Deutschland stark bleibt
Das Wahlprogramm der FDP umfasst nur 104 Seiten. Schwerpunkte sind u.a. „Wachstum, damit jeder aufsteigen kann“, „Chancen, damit jeder über sich hinaus wachsen kann“, „Fortschritt, damit unser Land die Zukunft gewinnt“ und „Vielfalt, damit jeder eine Wahl hat“. In diesen letzten Hauptkapitel wird dem Punkt „Einwanderung und Integration in einem vielfältigen, offenen Deutschland“ werden fast drei Seiten gewidmet, und zwar mit vielen sehr konkreten Vorschlägen, wie die nachstehende Aufzählung es belegt.
– „die beschleunigte Einbürgerung nach vier Jahren“,
– die Zulassung „der doppelten Staatsbürgerschaft“,
– die Gewinnung von Personal mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst,
– „vermehrte Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie“,
– „islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache an den Schulen“,
– Schaffung einer „Akademie für Islamstudien, um öffentliche Stellen zu beraten“,
– „kombinierte Sprachförderung von Eltern und Kindern“ und
– „großzügigere und flexible Vergabe von Visa“.
Fazit:
Im Bereich Einwanderung und Integration zeigt die FDP ihre liberale Grundhaltung und damit auch ihre Unterschiede zum konservativen Koalitionspartner CDU/CSU.
Die Linke
100% Sozial. Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013
Das Wahlprogramm DIE LINKE ist mit 88 Seiten das kürzeste aller Parteien. Schwerpunkte sind u.a. „Solidarität neu erfinden: Gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, „Demokratie und Sozialstaat verteidigen“ und „Demokratische Teilhabe: für eine Demokratie, in der es etwas zu entscheiden gibt“. In diesem letzten Hauptkapitel werden unter der Überschrift „Demokratie für alle, die hier leben. Gleiche Rechte für Migrantinnen und Migranten“ weitgehende Forderungen zugunsten der Migrantinnen und Migranten aufgestellt:
– „Alle hier geborenen Kinder und Jugendliche haben das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft“, also ius solis – „ohne die Staatsbürgerschaft der Eltern ablehnen zu müssen“, also die doppelte Staatsbürgerschaft.
– „Wahlrecht für in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebenen“.
– „Der Familiennachzug von Ehegatten und (gleichgeschlechtlichen) Lebenspartnerinnen und -partnern darf nicht behindert werden“.
– „Leichtere Einbürgerungsmöglichkeiten“
– „Wir wollen Mehrfachstaatsbürgerschaften ermöglichen“ und
– Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen.
Fazit:
Von allen Parteien hat DIE LINKE das „radikalste“ Programm für die Migrantinnen und Migranten, denn sie hat in ihrem Wahlprogramm einige Punkte, die für die anderen Parteien ein Tabu sind wie z.B. das Recht auf Staatsbürgerschaft aller hier Geborenen und das Wahlrecht zum Bundestag für AusländerInnen.
Zusammenfassender Vergleich
In der nachstehenden Tabelle werden die Ergebnisse der Analyse der Wahlprogramme in einem Überblick zusammengefasst.
Tabellarischer Vergleich
Programmpunkt CDU/CSU SPD Die Grünen FDP Die Linke
Doppelte Staatsbürgerschaft NEIN JA JA JA JA
Ius solis NEIN JA JA NEIN JA
Mehr Integrations- und Sprachkurse JA JA JA JA JA
Interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes JA JA JA JA –
Kommunales Wahlrecht NEIN JA – NEIN JA
Familiennachzug erleichtern NEIN – JA NEIN JA
Leichtere Einbürgerung NEIN – JA JA JA
Fazit
Die Analyse gibt zwar einige Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien, aber auch die Unterschiede kommen klar zum Ausdruck. Noch ist die CDU/CSU in Fragen der Migration und des Zusammenlebens mit den Migranten konservativ, wenn auch nicht mehr „so deutsch“ wie vor Jahrzehnten.
Am fortschrittlichsten im Sinne der Partizipation und der Inklusion sind DIE LINKE mit ihrem ius solis und dem Wahlrecht auf allen Ebenen, dagegen sind die SPD, DIE GRÜNEN und die FDP noch zurückhaltender. In diesem Politikbereich sind diese vier Parteien miteinander koalitionsfähig, während die CDU/CSU etwas „abseits“ vom gesellschaftspolitischen Diskurs steht.
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